Technik allein reicht in der Digitalisierung nicht. Wo blanke Hierarchie das Fachwissen ersetzt und eine flexible Verbesserungskultur fehlt, scheitern IT-Projekte schnell, warnt der Projektmanager Oliver Meinecke.
Kein Fachbereich in einer Verwaltung und keine Abteilung in einem Unternehmen kommt heute noch ohne IT aus. Die Digitalisierung von Arbeitsprozessen, Schnittstellen zu Kunden, anderen Fachbereichen oder Zulieferern sowie Informations- und Reporting-Tools erfassen jeden Arbeitsplatz. Dem entgegen stehen die althergebrachten Hierarchien und Vorgesetzte, die nur in seltenen Fällen IT-Expertise besitzen, dafür aber auf eine lange Karriere zurückblicken. Diese Mischung lässt so manches IT-Projekt scheitern.
„Diejenigen mit Fachkompetenz sind extern, und diejenigen, die das Sagen haben, sind fachfremd“, beschreibt Oliver Meinecke eine häufige Situation aus seiner beruflichen Praxis. „Beide treffen auf Mitarbeitende, die neue Technologien nicht unbedingt herbeisehnen.“ Meinecke ist IT-Projektmanager und Experte für die Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, IT-Aktualität, IT-Effizienz, Optimierung der IT-Infrastruktur und Homeoffice. Seine These: Viele Projekte scheitern an stark ausgeprägten Egos von Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Das kann die Digitalisierung ganzer Sparten und Behörden behindern.
Hierarchie ersetzt keine Expertise
„Hierarchische Vorgaben und Autorität, die auf dem Erfahrungswissen der analogen Welt fußen, ersetzen nicht die Expertise, die es braucht, um eine neue Software einzuführen oder komplexe Prozesse digital abzubilden“, ist Meinecke überzeugt. „Meinen ist nicht Wissen. Technische Abläufe lassen sich nicht per Dekret verändern.“
Gerade in der Verwaltung und auf der Managementebene werde oft sehr viel Papier produziert, das beschreibt, wie die Welt zu sein hat: von Security-Themen über Funktionalitäten bis hin zum minutiösen Projektablauf von der Beschaffung bis zur Implementierung. Mit der Macht der Funktion würden diese Vorgaben dann durchgesetzt, oft auch entgegen fachlichem und technologischem Sachverstand und ohne Beteiligung der späteren Anwender. „Am Ende müssen alle mit den Konsequenzen leben, sowohl die Projektverantwortlichen als auch die Beteiligten und späteren Anwender“, berichtet der Digitalisierungsprofi.
Viele Projekte scheiterten deswegen. „Regeln und Vorgaben werden vielfach zu Dogmen. Sie zu ändern, würde für den einen oder anderen einen Gesichtsverlust bedeuten“, erläutert Meinecke. „Vorgesetzte in Behörden und Manager:innen in Unternehmen sind oft unfähig gegenzusteuern, sich Fehler einzugestehen oder Vorgaben an der Realität messen zu lassen oder diese zu hinterfragen.“ Agiles Projektmanagement, kreative Lösungen und spontane Optimierungen würden so nahezu unmöglich. Sie scheiterten schlicht am überbordenden Ego der Beteiligten.
Eine flexible Fehlerkultur ist nötig
Es brauche eine neue Kultur, ist der Digitalexperte überzeugt: weg vom unbedingten Rechthaben, hin zum Anerkennen von Meinungs- und Richtungsänderungen. „Konsequenz wird vielfach mit Sturheit verwechselt. Wer seine Meinungen allzu oft ändert, gilt als wankelmütig“, berichtet Meinecke. „So wird es Menschen verwehrt, neue Einsichten und Erkenntnisse in Erfolge zu verwandeln. Es braucht hier eine flexible Fehler-, Einsichts- und Verbesserungskultur.“ Gerade dann, wenn externe Fachleute für die Umsetzung eines Projektes engagiert werden, sei es sinnvoll, deren kompetenten Blick auf die Materie und deren Perspektive von außen zu nutzen: „Berater:innen müssen ihre Vorteile ausspielen dürfen. Unbelehrbare Egos in neuralgischen Managementfunktionen stehen dem im Wege.“
Der digitale Wandel gelinge nicht, wenn schlechte analoge Prozesse ohne Anpassungen digitalisiert werden. Die Verantwortlichen müssten umdenken und sich am Kunden, am Anwender und an den technologischen Prozessen orientieren, nicht an der eigenen Karriereleiter. Alles andere koste Zeit und Geld und produziere Verdruss, so Meinecke. „Manchmal ist es notwendig, im Rahmen von IT-Projekten Führungskräfte in die Schranken zu weisen oder gar auszutauschen – im Sinne der Sache und des Ziels“, lautet das Fazit des IT-Experten. Nötig seien kreative Problemlöser:innen statt hierarchisch denkender Checklisten-Abhaker:innen – auch in den Chefetagen. Jürgen Frisch