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SAP S/4HANA-Migration: Strategischer Neustart mit Hindernissen

Die SAP S/4HANA-Migration wird oft unterschätzt – dabei gleicht sie nicht selten einem radikalen Systemwechsel. Wer frühzeitig strategisch plant, kann viele Stolpersteine von Beginn an umgehen.

SAP S/4HANA-Migration
©georgejmclittle – stock.adobe.com

2027 endet die Standardwartung für die SAP Business Suite 7 – das wissen viele Unternehmen. Doch was oft unterschätzt wird: Der Umstieg auf SAP S/4HANA ist kein klassisches Upgrade. Es handelt sich in den meisten Fällen um eine vollständige Systemerneuerung. Individuell angepasste Altsysteme lassen sich nicht einfach übertragen, Eigenentwicklungen müssen überprüft, migriert oder neu entwickelt werden. Für viele Unternehmen ist die SAP S/4HANA-Migration daher ein komplexes Großprojekt – mit weitreichenden Auswirkungen auf Prozesse, Organisation und IT-Architektur.

SAPs Vision: Innovation, Echtzeit, Cloud – aber zu welchem Preis?

SAP verfolgt mit S/4HANA eine klare strategische Linie: weg von monolithischen ERP-Systemen, hin zu einer modernen, Cloud-zentrierten Plattform mit offenen Schnittstellen, KI-Unterstützung und Echtzeitdatenverarbeitung. Die Software basiert auf der In-Memory-Datenbank SAP HANA, die Massendaten in Echtzeit verarbeiten kann, und bringt mit SAP Fiori eine moderne, rollenbasierte Benutzeroberfläche. Damit zielt SAP auf schnellere Prozesse, höhere Transparenz und bessere Benutzerfreundlichkeit.

Aus SAP-Sicht ist dieser Wandel logisch und notwendig – doch für Anwenderunternehmen bedeutet er vor allem eins: Umdenken. Wer weiterhin mit SAP arbeiten möchte, muss sich nicht nur auf neue Technologien, sondern auch auf ein neues Lizenzmodell, neue Betriebsoptionen und eine veränderte Systemlandschaft einstellen. Für viele Unternehmen ist das mit Unsicherheit verbunden – funktional, technisch und wirtschaftlich.

Technikwechsel mit Tücken: Warum viele Projekte holprig starten

In der Praxis zeigt sich: Die Migration ist selten einfach. Besonders Unternehmen mit stark individualisierten Business-Suite-Systemen stehen vor großen Herausforderungen. Schnittstellen, kundeneigene Entwicklungen, Spezialfunktionen – vieles davon ist in S/4HANA entweder nicht mehr verfügbar oder muss mühsam neu aufgebaut werden.

Zudem zwingt SAP mit der Cloud-Strategie zur Standardisierung. In der Public Cloud etwa sind keine direkten Modifikationen des Programmcodes mehr möglich. Das kann die Flexibilität einschränken, erhöht jedoch zugleich die Wartbarkeit und Updatefähigkeit. Unternehmen müssen daher abwägen: Welcher Freiheitsgrad ist tatsächlich nötig – und was kann künftig auch im Standardprozess abgebildet werden?


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Betriebsmodelle: Wahlfreiheit mit begrenztem Spielraum

SAP bietet S/4HANA in unterschiedlichen Betriebsmodellen an. Neben der klassischen lokalen Installation (On-Premise) gibt es die Private Cloud – bei der das System in einem Rechenzentrum gehostet wird – sowie die vollständig gemanagte Public Cloud. Letztere wird von SAP als die zukunftsfähigste Variante betrachtet: Updates erfolgen regelmäßig und automatisiert, die Systemlandschaft bleibt weitgehend standardisiert, und neue Funktionen stehen schnell zur Verfügung.

Während SAP offiziell Wahlfreiheit betont, spricht die Produktstrategie eine andere Sprache: Neue Funktionen und Innovationen stehen primär in der Cloud zur Verfügung. Für die klassische On-Premise-Variante sind Innovationen künftig eher die Ausnahme.

Das setzt Unternehmen unter Zugzwang. Wer langfristig vom vollen Funktionsumfang profitieren will, kommt kaum an der Cloud-Variante vorbei. Doch gerade hier gilt es, genau hinzuschauen: Die Public Cloud schränkt Modifikationen am System stark ein – es kann nicht mehr direkt in den Code eingegriffen werden. Stattdessen erfolgen Anpassungen ausschließlich über die SAP Business Technology Platform (BTP). Dabei handelt es sich um eine zentrale Entwicklungs- und Integrationsplattform, über die Erweiterungen, Schnittstellen und neue Anwendungen konfiguriert werden – oft mit zusätzlichem Know-how-Aufwand und Lizenzkosten.

RISE with SAP: Hilfestellung oder neue Abhängigkeit?

Mit dem Programm RISE with SAP will SAP den Umstieg erleichtern. Es umfasst nicht nur den Zugang zu SAP S/4HANA Cloud, sondern stellt auch verschiedene Werkzeuge und Services bereit, die Unternehmen auf dem Weg begleiten. Dazu gehören unter anderem der Readiness Check, der bestehende Systeme analysiert und Schwachstellen aufzeigt, sowie die Custom Code Migration App, die beim Umgang mit Eigenentwicklungen unterstützt. Zudem sind Schulungszugänge und Services rund um Prozessoptimierung enthalten sowie Nutzungskontingente für die SAP Business Technology Platform (BTP).

Doch so hilfreich die Begleitung sein kann: RISE ist kein Freifahrtschein. Kritische Stimmen bemängeln, dass RISE in der Praxis mitunter zu einer stärkeren Bindung an SAP führt. Die Lizenzstruktur wird komplexer, der Freiraum für Systemarchitektur und Partnerwahl geringer. Unternehmen müssen deshalb genau prüfen, ob das Paket tatsächlich zu ihrer Migrationsstrategie passt – oder ob ein klassischer Projektansatz mit unabhängigen Implementierungspartnern zielführender ist.

Künstliche Intelligenz als Zukunftsversprechen – mit Bedingungen

Ein zentraler Beweggrund für die SAP S/4HANA-Migration liegt in der gezielten Öffnung für neue Technologien – insbesondere im Bereich Künstlicher Intelligenz. SAP verfolgt eine „AI-first“-Strategie: Künftig sollen alle Unternehmensprozesse durch KI-Funktionen unterstützt werden – sei es beim Forderungsmanagement, bei der Analyse von Prozessdaten oder in der Lieferkette. Voraussetzung für die Nutzung dieser Funktionen ist jedoch der Cloud-Betrieb.

Mit „Joule“, dem neuen KI-Assistenten von SAP, und der Integration mit Microsoft 365 Copilot ergeben sich künftig neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Anwender erhalten kontextbezogene Empfehlungen, automatisierte Handlungsvorschläge und können sich auf wertschöpfende Aufgaben konzentrieren. Doch auch hier gilt: Ohne Cloud keine KI.

On-Premise-Nutzer bleiben außen vor, wenn es um Joule, Signavio oder andere KI-gestützte Funktionen geht. Das erhöht den Druck zur Migration – gleichzeitig stellt sich die Frage, ob Unternehmen ihre Infrastruktur, Datenhoheit und Abhängigkeiten so weit in die Cloud verlagern möchten, nur um Zugriff auf die „intelligente“ Zukunft zu erhalten.

Fazit: SAP S/4HANA-Migration mit Augenmaß – und klarer Strategie

Die SAP S/4HANA-Migration ist alternativlos – zumindest für Unternehmen, die der SAP-Welt treu bleiben wollen. Doch der Umstieg ist kein Selbstläufer. Er verlangt eine nüchterne Bewertung des Status quo, eine sorgfältige Zieldefinition und eine strategische Entscheidung für das passende Betriebsmodell. Standardisierung, Flexibilität, Innovationsfähigkeit und Integrationsaufwand müssen gegeneinander abgewogen werden.

Programme wie RISE with SAP können unterstützen – sie entbinden Unternehmen aber nicht davon, frühzeitig Kompetenzen aufzubauen, kritische Fragen zu stellen und eigene Anforderungen zu definieren. Denn wer SAP S/4HANA erfolgreich einführen will, braucht nicht nur technisches Know-how, sondern auch klare Prioritäten und eine realistische Vorstellung vom Veränderungsaufwand.

Der Systemwechsel bietet viele Chancen – aber nur, wenn er nicht als bloßer Produktwechsel verstanden wird. Denn in Wahrheit ist die Migration auf S/4HANA der Startpunkt für eine neue IT-Strategie.


Der Autor

Christopher Henke ist Senior Consultant bei der Trovarit AG.