Die Auswahl eines Enterprise Resource Planning (ERP) Systems in der Life Science Industrie ist besonders anspruchsvoll. Denn die Unternehmen der Life Sciences Branche sind durch komplexe Prozesse, lange Entwicklungszeiten bei gleichzeitig hohem Innovationsdruck und hoher Regulierung geprägt.
Die Branchen der Life Science Industrie, Chemie, Pharma, Biotechnologie, Kosmetik, Nahrungsergänzungsmittel und die Medizintechnik, sind die am stärksten regulierten Branchen überhaupt. Dies ist nötig, um die Sicherheit von Patienten und die Qualität der Produkte zu gewährleisten. Eine ERP-Lösung muss hier in der Lage sein, die strengen Anforderungen der Gesundheitsbehörden wie der FDA (Food and Drug Administration) oder der EMA (European Medicines Agency) zu erfüllen. Dies umfasst die Fähigkeit zur Rückverfolgbarkeit, Chargenverwaltung, Einhaltung von GxP-Richtlinien (Good Manufacturing Practice (GMP), Good Laboratory Practice (GLP) usw.) und elektronische Aufzeichnungen und Signaturen (ERES).
ERP-Auswahl im Schatten von Regularien
So stellen Unternehmen aus der Life Science Industrie im Rahmen der ERP-Auswahl spezielle Anforderungen an die Plattformen, die Technologie und Architektur sowie an die Lieferanten von ERP-Systemen und auch an Prozessmanagement-Berater.
Die Anwenderunternehmen sind in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen für IT-Projekte im Validation Plan festzulegen. Dabei wird auf den Validation-Masterplan des Unternehmens abgestellt, welcher wiederum auch die Qualitätsmanagementanforderungen bzw. die Qualitätspolitik des Unternehmens berücksichtigt.
Plattformanbieter wie bspw. die Cloudanbieter Microsoft, Amazon und Google müssen in der sog. IQ (Installation Qualification) umfangreiche Compliance-Anforderungen erfüllen. Eine Umgebung muss die sehr umfangreichen Sicherheits- und Branchenstandards erfüllen. Ein Beispiel hierfür findet sich auf öffentlich zugänglichen Seiten des Anbieters Microsoft. Beginnend mit “gehosteten Cloudumgebungen” und deren Stärken und Schwächen, evaluieren viele Unternehmen heute die “public cloud”. Insbesondere Anwenderunternehmen im validierten Umfeld sind für Cloud-Betrieb gefordert, die Compliance-Erklärungen der Plattformanbieter intensiv zu prüfen und zu bewerten sowie letztendlich als Basis anzuerkennen.
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Branchenspezifika machen den ERP-Einsatz in der Life Science Industrie möglich
ERP-/LIMS-/MES- und CAQ-Anbieter sowie Systemhäuser, welche Standard-Software um Branchenspezifika erweitern, gelten als die wesentlichsten System- und Anwendungslieferanten im GxP-regulierten Umfeld, weil dort Prozesse und Daten betroffen sind, welche die “Produktqualität” und “-sicherheit” beeinflussen können. Weshalb auch Digitalisierungs- und Prozessmanagementprojekte anders betrachtet werden.
Während außerhalb der Life Science Industrie Digitalisierungs- und Prozessmanagementprojekte eher nach Industrie 4.0-, Six-Sigma- oder anderen bekannten Methoden angegangen werden, sieht man in der Life Sciences Industrie einen deutlich stärkeren Prozessbezug in der gesamten Methodik. Dies rührt aus der Anforderung, dass ein Prozess dokumentiert und getestet und als valide erklärt werden muss. Der Zyklus eines Prozesses jedoch ist es, weshalb die Stringenz eine andere sein muss und in der gelebten Praxis auch ist. Wird ein Prozess geändert, muss die Methodik ermöglichen, den Prozess wieder gesondert zu betrachten und in einer neuen Version zu dokumentieren, zu testen und erneut im Einzelkontext zu validieren. Dieser Aufwand wird in der klassischen Industrie höchstens in Segmenten wie Luft- und Raumfahrt oder ähnlichen Industrien angewandt.
Wahl und Definition der Rahmenbedingungen
Zahlreiche Projekte werden ohne Ziele und zu erreichende Ergebnisse ausgeschrieben. In über 20 Jahren Ausschreibungspraxis sind fehlende Rahmenbedingungen, Ziele, Ergebnisdefinition hervorstechende Merkmale.
Ein Bestandteil der Ausschreibung sollte eine klar formulierte Validierungsdokumentation und -anforderung sein. Abgeleitet aus dem Unternehmens-Validierungsplan (Validation-Masterplan) werden die Projektanforderungen, bspw. auch für ein Digitalisierungs- oder Prozessmanagement-Projekt, verbindlich festgelegt.
Besonderes Augenmerk liegt schon zu Beginn der Projektierung in der Wahl der vom Auswahlunternehmen vorgegebenen Projektmethodik unter Einhaltung der selbst festgelegten Rahmenbedingungen. Agile Methoden sind auch in GxP-Strukturen, respektive im bekannten V-Modell unter Annahmen umsetzbar.
Aspekte sind u. a.:
- Festlegung der geforderten Grundstruktur im Projekt
- Mindesterwartungen an den Anbieter (bspw. Kompetenznachweis im validierten Umfeld)
- Methodischer Ansatz und entsprechende Werkzeuge für das Monitoring der Konzeptphase
- Verbindliche Dokumentationsvorgaben und -pflichten, die den Anforderungen der Validierung genügen
- Konzept und Werkzeuge für umfassendes und nachvollziehbares Testmanagement
Risikoanalyse macht Probleme frühzeitig sichtbar
Im Markt gängige Praxis – und leider zu wenig in der klassischen Industrie angewandt – ist die Risikoanalyse, welche hilft, Risikoklassifikationen vorzunehmen und somit je Klasse den Dokumentations- und Testaufwand passend zu gestalten. Voraussetzung ist die Klarheit der Prozesse und der Prozess-Owner sowie der verbindlichen Definition, dass Prozesse die Grundstruktur und das Hauptordnungskriterium im Projekt sein müssen! Betrachtet man die Ausschreibungen der letzten Dekade und die gelebte Praxis, wird klar, dass Prozessmanagement der Kern dieser Aufgabe ist.
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Klare Anforderungen an Dokumentation und Testing fehlen oft
Ausschreibungsunterlagen enthalten auch im regulierten Umfeld sehr selten klare Anforderungen an Dokumentation und Testing und letztendlich prägt der Lieferant somit Umfang, Tiefe und Prozeduren. Das Anwenderunternehmen verliert die Kontrolle und wird unzufrieden, obwohl Verantwortliche des Anwenderunternehmens am Ende das Projekt abnehmen, validieren, freigeben müssen. Mit Trovarit for Life Sciences behält das Anwenderunternehmen die Kontrolle, ohne dass der Lieferant sich “verbiegen” muss.
Qualifikation der Anbieterunternehmen
Für die Anbieterunternehmen viel zu oft unklar ist auch, welche Anforderungen an sie als Projektpartner gestellt werden. Unklare Vorgaben führen schon in den ersten Schritten der Auswahl zu großen Diskrepanzen und unnötigem zusätzlichem Aufwand. Ein Anbieter sollte die Anforderungen an ihn kennen. Es sollte klar sein, was er erfüllen muss und wie das durch Lieferantenaudits verifiziert wird. Manch ein Anbieter hätte sich die Mühe sparen können, weil seine QM-Systeme und seine Methoden der IP-Erstellung (eigene Programme) nicht zureichend genug sind und dies im Audit erkannt wird. Anwenderunternehmen und Anbieter bleiben dann enttäuscht zurück. Trovarit for Life Sciences schafft Klarheit auf beiden Seiten und hilft in der Analyse, ob ein Anbieter als “qualifiziert” im GxP-Sinne gilt.
Mit Auswahl- und Implementierungsmodellen auf der sicheren Seite
Im Allgemeinen sind oft zu viele “offen gelassene Punkte” später der Grund für große Spannungen oder für fehlende Kontrolle auf der Anwenderseite im Projekt-Controlling und -Management. Nur wenn ein Unternehmen “klar ausschreibt” und die Rahmenbedingungen setzt, kann es die Kontrolle behalten!
Das sind die herausfordernden Randbedingungen, die berücksichtigt werden müssen, wenn die ERP-Infrastruktur modernisiert bzw. ein neues ERP-System in einem Unternehmen der Life Sciences Branche ausgewählt und eingeführt werden soll. Um sich hier nicht zu verzetteln, sollte man bereits zu Beginn des Projektes – noch bevor der Anbieter ins Spiel kommt – auf ein methodisch fundiertes Auswahl- und Einführungsverfahren zurückgreifen, das über den gesamten Projektverlauf für Transparenz und Zielorientierung sorgt. Hier hat sich das Aachener Implementierungsmodell ImplAiX® bewährt.
ImplAiX® basiert auf der Erkenntnis, dass während der Auswahl bereits wichtige Weichen für die Implementierung gestellt werden und dass ein integrierter Ansatz benötigt wird, um die Durchgängigkeit des in den frühen Phasen erarbeiteten Wissens zu gewährleisten. Daher startet ImplAiX®, noch bevor der Dienstleister für das eigentliche Einführungsprojekt beauftragt wird und liefert den methodischen Rahmen sowie die benötigten Werkzeuge für das gesamte Projekt von der Projektinitialisierung bis zur Abnahme des neuen Systems, unabhängig von der gewählten Software-Lösung.
Der Autor
Rainer Weissenberger ist Geschäftsführer der Trovarit for Life Science GmbH