Kliniken im Aufruhr: Zunächst hat SAP die Industry Solution Healthcare abgekündigt, nun will Oracle Cerner das Modul Reklamationsmonitor nicht mehr pflegen. Die SAP-Anwendervereinigung DSAG fordert, dass beide Lösungen laufen, bis Nachfolgeprodukte verfügbar sind.
Ruhelosigkeit: Die Ankündigung von SAP, keine Nachfolgelösung für die Branchenlösung SAP Industry Solution Healthcare (IS-H) – auch bekannt als SAP Patientenmanagement – in der S/4HANA-Welt anzubieten, hat bereits im vergangenen Jahr für Unruhe in der Healthcare-Branche gesorgt. Nun bekommen Kliniken die Auswirkungen des SAP-Strategiewechsels ein weiteres Mal zu spüren: Oracle Cerner will die Betreuungsverträge für das Lösungspaket IS-H Reklamations-Monitor nicht mehr verlängern. Der Reklamations-Monitor wird aus der SAP Industry Solution Healthcare heraus aufgerufen und steuert die Prozesse zur Bearbeitung, Dokumentation und Auswertung der Daten im Zusammenhang mit Kassenreklamationen, Prüfungen des Medizinischen Dienstes und sonstigen Reklamationen zu einem Behandlungsfall. Die Cerner Corporation ist ein amerikanischer Anbieter von Informationstechnik für das Gesundheitswesen. 2022 hat Oracle dieses Unternehmen übernommen.
Aus Sicht der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) ist das Wartungsende für den IS-H Reklamations-Monitor ein weiterer herber Schlag für die Gesundheitsbranche. Bereits im Herbst 2022 hat SAP angekündigt, dass die bisherigen Funktionalitäten der Industry Solution Healthcare für die Patientenverwaltung und -abrechnung künftig über die Krankenhausinformationssysteme anderer Hersteller abgebildet werden müssen. Die Folgen dieser Entscheidung spüren nun die Häuser, die das Krankenhausinformationssystem von Oracle Cerner einsetzen. „Die Industry Solution Healthcare ist sehr eng mit dem Krankenhausinformationssystem i.s.h.med von Oracle Cerner verknüpft“, erläutert Hermann-Josef Haag, DSAG-Fachvorstand Personalwesen & Public Sector. „Dieses Produkt läuft vollständig auf der abgekündigten Infrastruktur SAP Enterprise Resource Planning Central Component (SAP ECC).“
Von Anamnese und Therapie bis zur Nachbehandlung
Mit dem Krankenhausinformationssystem i.s.h.med erfassen Kliniken die medizinischen Daten der Patientinnen und Patienten – von der Anamnese über die Therapie bis zur Nachbehandlung. „Oracle Cerner will nun den Support für das Krankenhausinformationssystem einstellen“, ergänzt Michael Pfeil, DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare und hauptberuflich Abteilungsleiter Betriebswirtschaftliche Applikationen im Universitätsklinikum Bonn. „Der Hersteller hat zwar eine Nachfolgelösung angekündigt. Wann diese allerdings einen vollständigen funktionalen Ersatz bieten kann, ist bislang unklar.“
Mit dem Auslaufen des Betreuungsvertrags für IS-H Reklamations-Monitor entfällt der Anspruch auf Korrekturen und Erweiterungen zu diesem Paket. Als Nachfolger empfiehlt die Oracle-Tochter die Lösung eines Partnerunternehmens. Laut DSAG-Arbeitskreissprecher Pfeil ist das untragbar: „Das Lösungspaket IS-H Reklamations-Monitor enthält eine Rückkopplung ins Rechnungswesen für das Reporting offener Rechnungen und sich daraus ergebender Streitwerte und ist aus der Abrechnung und dem Codier-Management vieler Krankenhäuser nicht wegzudenken. Jetzt noch ein neues Tool für die Industry Solution Healthcare kaufen zu müssen, obwohl SAP diese Lösung abgekündigt hat, ist inakzeptabel.“
Auch wenn es sich hier nur um eine sogenannte Beratungslösung handle, sei das Paket Teil eines Ganzen geworden. Somit dürfe es aus DSAG-Sicht erst dann abgekündigt werden, wenn eine Nachfolgelösung die komplette Funktionalität der SAP Industry Solution Healthcare abdeckt.
DSAG fordert Zugeständnisse der Softwarehäuser
Um die Krankenhäuser zu unterstützen, hat DSAG das Gespräch mit Oracle Cerner gesucht. Der Software-Hersteller räumt zwar Fehler in der Kommunikation mit den Kunden ein, kann jedoch laut eigener Aussage den IS-H Reklamations-Monitor mit seinem veralteten Programm-Code aus technischen Gründen nicht über März 2025 hinaus weiterpflegen. Gemeinsam mit Technologiepartner 3M bietet Oracle Cerner einen Workshop an, der den Funktionsabgleich und die Migrationsstrategien beschreibt.
Die DSAG stellt nun an SAP und Oracle mehrere Forderungen: SAP soll sich mit seinen Partnern so abstimmen, dass alle für die Patientenabrechnung relevanten Tools bis zum Ende der Wartung unterstützt werden. Darüber hinaus müsse dargestellt werden, welche Abhängigkeiten es zwischen den Lösungen gibt – und welche Auswirkungen der Wegfall eines Moduls hat. Nur so sei in den Klinken eine mittelfristige Planung möglich.
Oracle Cerner soll das Reklamationsmanagement-Tool bis mindestens Ende 2027 bereitstellen und pflegen. Die Kliniken benötigen Zeit, um eine solche in das SAP-System vollintegrierte Lösung zu ersetzen. Wenn Oracle Cerner das nicht selbst leisten kann, so muss das Unternehmen laut DSAG einen Partner benennen, der dazu in der Lage ist. Jürgen Frisch
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