Die EU-Richtlinie zur Cybersicherheit fordert von Unternehmen ein IT-Risikomanagement ein. Das Update der Sicherheitsarchitektur ist ein umfangreiches strategisches Projekt, das die Verantwortlichen schnellstmöglich angehen sollten.
Ein Blick zurück ist oft lehrreich: Ende Mai 2018 ist die Datenschutz-Grundverordnung, kurz DSGVO, in Kraft getreten – genauer gesagt: die 24-monatige Übergangsfrist endete. Zwei Jahre hatten deutsche Unternehmen Zeit, ihre Prozesse an die neue Richtlinie anzupassen. Viele wurden allerdings erst wenige Tage vor Ablauf der Frist aktiv. Die einen versuchten in Eigenregie die offensichtlichen Schwachstellen zu beheben. Andere riefen externe Spezialisten zu Hilfe – mit dem verzweifelten Wunsch, sie im Eilverfahren DSGVO-tauglich zu machen.
Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass sich die Geschichte mit der Sicherheitsrichtlinie NIS-2 wiederholen wird. Bis zum 17. Oktober 2024 müssen die EU-Mitgliedstaaten die zweite Auflage der Network and Information Security Directive in nationales Recht umsetzen. In Deutschland liegt bereits ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums zum NIS-2-Umsetzungsgesetz vor. Künftig sind die betroffenen Betriebe verpflichtet, das Einhalten von Sicherheitsanforderungen zu gewährleisten und alle Vorfälle zu melden. Unter die Richtlinie fallen alle Unternehmen, die als Betreiber kritischer Infrastrukturen gelten. Dazu zählen beispielsweise Organisationen aus den Bereichen Energie, Verkehr und Gesundheit, aber auch Anbieter digitaler Dienste und das produzierende Gewerbe.
Die Richtlinie unterscheidet zwischen den Kategorien ‚wichtig‘ und ‚wesentlich‘ – je nachdem wie essentiell die einzelne Organisation für die Gesellschaft, die Sicherheit des Landes und die Wirtschaft ist. Mit NIS-2 wird Cyber-Sicherheit und Cyber-Resilienz in Deutschland für sehr viele Unternehmen zur Pflicht. Direkt betroffen sind mindestens 30.000 Betriebe. Indirekt kommen all jene hinzu, die im Rahmen der Sicherung ihrer Lieferketten besondere Maßnahmen umsetzen müssen.
Behörden dürfen die IT-Sicherheit prüfen
Je nach Einstufung eines Unternehmens als Betreiber kritischer Infrastrukturen oder wichtiger, beziehungsweise wesentlicher Einrichtungen, wird es Übergangsfristen für das Umsetzen der NIS-2-Vorschriften geben. Ab Inkrafttreten des Gesetzes kann das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik allerdings von besonders relevanten Einrichtungen Nachweise über die Maßnahmen oder sogar Audits einfordern. Das Damoklesschwert NIS-2 kann daher schneller wirksam werden, als manchem lieb ist.
Fakt ist: Die Anforderungen sind eine tickende Zeitbombe für alle, die ihre IT-Sicherheit bisher vernachlässigt haben. Erstens ist NIS-2-Konformität kein Produkt, das man einfach kaufen und tags darauf implementieren kann. Vielmehr müssen sich die von der Regelung betroffenen Unternehmen darüber im Klaren sein, dass das Umsetzen der neuen EU-Richtlinie ein umfangreiches, strategisches Projekt ist, das Auswirkungen in die unterschiedlichsten Bereiche hinein hat. Bedenkt man zudem, dass viele Hardwarekomponenten lange Lieferfristen haben, ist der zeitliche Rahmen knapp bemessen, um ein adäquates Sicherheitspaket zu schnüren. Schließlich dürften die wenigsten Betriebe in der Lage sein, die geforderten Auflagen mit der eigenen IT-Mannschaft zu erfüllen. Einen Chief Information Security Officer (CISO) hat außerdem nur eine Minderheit implementiert. Auch externe Spezialisten dürften auf den letzten Metern nur schwer zu bekommen sein.
Es drohen Bußgelder bis 10 Millionen Euro
Wer jetzt auf die Idee kommt, NIS-2 auszusitzen nach dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“ – schließlich werden nur die besonders relevanten Einrichtungen auditiert –, der handelt grob fahrlässig. Zum einen ist die neue EU-Richtlinie die Antwort auf die wachsenden Bedrohungen in der digitalen Welt. Cyber-Angriffe werden immer raffinierter und Unternehmen müssen sich im eigenen Interesse darauf vorbereiten. Andererseits treffen die vorgesehenen Sanktionen bei Sicherheitsvorfällen die Firmen und Organisationen hart. Betrieben, die als ‚wesentlich‘ eingestuft werden, drohen Bußgelder von bis zu zehn Millionen Euro oder zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes – je nachdem, welcher Betrag höher ist. Der Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums sieht sogar vor, dass Geschäftsführer und andere Leitungsorgane mit ihrem Privatvermögen für das Einhalten der Risikomanagementmaßnahmen haften. Ihnen droht ein Bußgeld in gleicher Höhe.
NIS-2 ist also längst zu einem Compliance-Risiko geworden, das die Verantwortlichen sehr ernst nehmen sollten. Die Uhr tickt. Jedes Unternehmen, das unter die NIS-2-Richtlinie fällt, sollte schnellstmöglich die Umsetzung angehen und sämtliche Baustellen in seiner IT-Sicherheitsarchitektur beheben. jf
Der Autor
Bernhard Kretschmer ist Vice President Services und Cybersecurity beim IT-Dienstleister NTT Ltd.