Dank rasanter Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz erreicht die Automatisierung bald kognitive Tätigkeiten. Menschliche Arbeit wird dann in diesem Bereich zu großen Teilen überflüssig, argumentiert der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Prof. Anton Korinek.
Aufbruch: Künstliche Intelligenz ist weit vorangekommen. Gerade bei großen Sprachmodellen ging das viel schneller als erwartet. Der Chatbot ChatGPT von OpenAI hält die Welt in Atem, indem er seine beeindruckenden Schreibfähigkeiten in zahllosen Artikeln unter Beweis stellt und sogar Studenten der Wharton University in MBA-Prüfungen übertroffen hat. In den ersten zwei Monaten seines Bestehens hat ChatGPT mehr als 100 Millionen Nutzer gewonnen. Das ist die schnellste Markteinführung eines digitalen Produkts in der Geschichte. Das System produziert alle 14 Tage eine Textmenge, die dem Gesamtwerk der Menschheit in gedruckter Form entspricht. Das Potenzial dieser Technologie ist so groß und der Einsatz so hoch, dass Google beschlossen hat, seine eigene Version namens Bard auf den Markt zu bringen. Diese basiert auf Googles großem Sprachmodell LaMDA und ist in der Lage, mit Menschen fließende Gespräche zu führen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen möchte ich einige Fakten, Gedanken und Meinungen darüber teilen, welche Auswirkungen die zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz haben und wie die Technologie in Zukunft aussehen könnte.
1. Kognitive Automatisierung
Diese Art der Automatisierung wird ein wichtiger Trend im Jahr 2023 und darüber hinaus. Da die Fähigkeiten großer Sprachmodelle weiter zunehmen, sehen sich kognitive Arbeitskräfte (wie ich selbst) einem immer größerem Automatisierungsrisiko ausgesetzt. Die Wirtschaftswissenschaftler müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Automatisierung nur Routinejobs betrifft und dass die menschliche Kreativität auf wundersame Weise immun gegen die Automatisierung ist. Um mit dieser neuen Realität Schritt halten zu können, braucht es entsprechend angepasste Wirtschaftsmodelle.
2. Sprachmodelle – von Assistenten zu Tutoren
In den kommenden Jahren werden kognitive Mitarbeiter zunehmend große Sprachmodelle in ihren täglichen Arbeitsablauf integrieren. Kurzfristig wird dies die Produktivität der kognitiven Mitarbeiter erhöhen – sie können unzählige kleine Aufgaben an ihre neuen digitalen Assistenten auslagern. Der Mensch wird sich auf seinen komparativen Vorteil konzentrieren: Während das Erstellen von Inhalten zunehmend von Sprachmodellen übernommen wird, ist die Unterscheidung, welche Inhalte nützlich sind, immer noch etwas, das der Mensch besser kann. Mit der Zeit entwickeln sich die digitalen Assistenten zu digitalen Tutoren, die ihren Nutzern neue Konzepte beibringen und unseren Horizont erweitern. Ich habe vor kurzem einen Leitfaden fertiggestellt, der zeigt, wie kognitive Arbeitskräfte die Vorteile von Sprachmodellen nutzen können. Dabei konzentriere ich mich auf Anwendungen in meinem eigenen Bereich, den Wirtschaftswissenschaften.
3. Exponentielles Wachstum bei der Datenverarbeitung
Der Fortschritt in der Künstlichen Intelligenz schreitet unaufhaltsam voran, angetrieben durch eine Kombination aus Fortschritten bei Hardware und Software sowie ständig wachsenden Trainingsbudgets. Dies hat zufolge, dass sich die Rechenleistung moderner Modelle in etwa sechs Monaten verdoppelt hat – viel schneller als das Mooresche Gesetz. Es ist zu beachten, dass die Kosten für Trainingsläufe bei Spitzenmodellen ebenfalls exponentiell ansteigen und sich derzeit im achtstelligen Dollarbereich bewegen. Da die Ausgaben für die Datenverarbeitung viel schneller wachsen als die Gesamtwirtschaft, entfällt ein immer größerer Teil der Ressourcen unserer Wirtschaft für die Datenverarbeitung.
4. Bislang geringe makroökonomischen Auswirkungen
Verglichen mit der Gesamtwirtschaft sind die Investitionen in Künstliche Intelligenz bisher noch relativ gering, und es wird noch einige Verdoppelungsrunden dauern, bis die makroökonomischen Auswirkungen spürbar werden. Die Wirtschaft ist wie ein großes Schiff, das lange braucht, um sich zu drehen. Ich gehe daher nicht davon aus, dass sich die jüngsten Fortschritte schon in diesem Jahr in den Investitions-, Produktivitäts- und Wachstumszahlen auf der Makroebene niederschlagen.
5. Wachsende öffentliche Aufmerksamkeit
Das im November veröffentlichte ChatGPT von OpenAI vermittelt der Öffentlichkeit einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit Künstlicher Intelligenz und schärft das öffentliche Bewusstsein für die Fähigkeiten großer Sprachmodelle. Falls Sie es noch nicht getan haben, sollten Sie dieses System ausprobieren. So bekommen Sie einen Eindruck davon, wie die persönlichen Assistenten der Zukunft aussehen. Technisch gesehen ist das System nur eine Anpassung eines großen Sprachmodells (GPT3.5) unter mehreren anderen, die ein wachsendes Maß an allgemeiner Intelligenz bewiesen haben. Insgesamt stellt die einen weiteren Schritt in Richtung der allgemeinen künstlichen Intelligenz dar. Dieser Begriff bezeichnet IT-Systeme, die alle kognitiven Aufgaben ausführen können, die auch Menschen leisten können. Bald soll die nächste Generation von Sprachmodellen auf den Markt kommen, die eine noch höhere allgemeine Intelligenz aufweisen.
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6. Größere Bandbreite und strengere Governance
Da Gespräche über Künstliche Intelligenz alltäglich werden, vergrößert sich rasch das Overton-Fenster, also die Bandbreite der Ideen und politischen Optionen, die von den Menschen als vernünftig erörtert werden. Dadurch rückt die Governance Künstlicher Intelligenz in den Vordergrund des öffentlichen Diskurses. Zu den wichtigen Fragen gehört sowohl, wie intelligente Technologie mit den bestehenden Governance-Strukturen interagieren wird, als auch, wie diese Systeme selbst reguliert werden sollten. Wirtschaftswissenschaftler haben zu diesen Themen viel beizutragen, und es gibt reichlich Gelegenheit für innovative Forschungsarbeiten und Dissertationen. Unser Oxford Handbook of AI Governance, das demnächst erscheinen soll, wird dazu einen Beitrag leisten. Einige Kapitel sind bereits online verfügbar.
7. Mittelfristig wird menschliche Arbeit überflüssig
Mittelfristig wird sich die Gesellschaft auf eine Welt einstellen müssen, in der menschliche Arbeit weitgehend überflüssig ist. Dies könnte früher geschehen, als viele erwarten, vielleicht sogar noch in diesem Jahrzehnt. Die kognitive Automatisierung macht Maßnahmen wie ein universelles Grundeinkommen dringlich und attraktiv. Um besser zu verstehen, wie man sich auf diese fehlende Zukunft der Arbeit vorbereiten kann, habe ich kürzlich einen Bericht zu diesem Thema veröffentlicht. Wenn kognitive Arbeit überflüssig wird, müssen wir auch den Zweck der Bildung grundlegend neu bewerten.
Obwohl jetzt die Zeit für die Forschung zur Steuerung von Künstlicher Intelligenz gekommen ist, nehme ich mir auch die Zeit, um über das Leben nach der kognitiven Automatisierung nachzudenken, die mich eines Tages wohl als Wirtschaftswissenschaftler überflüssig machen wird. Schließlich möchte ich mich mental schon im Vorfeld auf diese Situation vorbereiten. jf
Der Autor
Professor Anton Korinek ist Experte für Makroökonomie, künstliche Intelligenz, Finanzstabilität und internationale Finanzen und erforscht an der Darden School of Business, University of Virginia die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf Unternehmen, Wirtschaft und die Zukunft der Arbeit. Neben seiner Tätigkeit als Professor ist Korinek Rubenstein Fellow bei Brookings und Research Associate beim National Bureau of Economic Research.