Innovationen rund um Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit soll es künftig nur noch für SAP Cloud-Lösungen geben – diese Aussage des SAP-CEO lässt SAP-Kunden aufhorchen. Die Anwendervereinigung DSAG sieht darin einen Strategieschwenk der SAP und fordert gleichen Zugang zu Neuerungen für alle Betriebsvarianten.
Nur noch in der Cloud sollen die neuesten Innovationen von SAP verfügbar sein. Das hat Christian Klein, CEO und Mitglied des Vorstands von SAP auf der Bilanzpressekonferenz am 20. Juli angekündigt. Konkret sollen nur Kunden profitieren, die SAP S/4HANA Cloud, Public Edition oder SAP S/4HANA Cloud, Private Edition über GROW with SAP- oder RISE with SAP-Verträge nutzen. Das bedeutet nicht, dass On-Premise-Lösungen funktional nicht weiterentwickelt werden. Allerdings profitieren On-Premise-Kunden künftig nicht mehr von den großen Entwicklungen für Künstliche Intelligenz und Green Ledger. Die gleiche Einschränkung gilt für Funktionsbausteine und Erweiterungen, die auf der Business Technology Platform basieren. Da SAP geichzeitig die Wartungsgebühren erhöhen will, lässt sie aus Sicht der DSAG zahlreiche Kunden im Stich.
Die Ankündigung von SAP, Innovationen wie Künstliche Intelligenz, Green Ledger und einige Erweiterungen der Business Technology Platform ausschließlich in der Cloud zur Verfügung zu stellen, trifft On-Premise-Kunden, Hyperscaler mit direktem Kundenkontakt und Managed-Services-Provider hart. Für Unternehmen, die eine gehostete Hyperscaler-Implementierung außerhalb von RISE with SAP verwenden, sind diese Innovationen demnach nicht mehr zu haben. Darüber hinaus wären sie auch nicht für On-Premise-Implementierungen von S/4HANA verfügbar. „Die Aussage ist ein schwerer Schlag und bedeutet aus unserer Sicht einen Paradigmenwechsel und eine 180-Grad-Wende zu den bisherigen Äußerungen“, erläutert Jens Hungershausen, DSAG-Vorstandsvorsitzender. „SAP hat bisher behauptet, Verbesserungen nicht auf cloudbasierte Angebote beschränken zu wollen.“
30 Prozent Preisaufschlag für SAP Cloud-Innovationen
Funktionen für Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit sollen künftig Bestandteil der Cloud-Verträge RISE with SAP und Grow with SAP sein. Laut Informationen der DSAG soll das optionale Premiumpaket mit den Innovationen allerdings 30 Prozent zusätzlich kosten. Unternehmen, die eine Umstellung auf S/4HANA geplant haben und die bestehenden Lizenzen nutzen beziehungsweise neue erwerben und entweder in ihren Rechenzentren oder Cloud-nativ mittels Infrastructure-as-a-Service-Umgebung eines Hyperscalers implementieren wollen, sollten sich bewusst sein, dass sie Innovationen in Sachen Künstlicher Intelligenz und Nachhaltigkeit nach dem Willen von SAP künftig nicht nutzen können.
„Wenn das bei Funktionen rund um Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit der Fall ist, dann fragen wir uns, mit welchen Einschränkungen Bestandskunden für andere Innovationen rechnen müssen“, berichtet Thomas Henzler, DSAG-Fachvorstand Lizenzen, Service & Support. „Da sich technologisch keine Gründe für ein solches Vorgehen finden lassen, entsteht der Eindruck, dass bei SAP hinsichtlich der Kunden eine Zwei-Klassen-Gesellschaft herrscht.“ Als Interessenvertretung von mehr als 3.800 Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz rät die DSAG aufgrund der neuen Ausrichtung von SAP den Unternehmen dazu, geplante S/4HANA-Einführungen bezogen auf das Betriebsmodell genauestens zu überdenken – auch vor dem Hintergrund der Wartungsgebühren. „Diese Ankündigung ist ein echter Show-Stopper und eine große Enttäuschung“, erläutert Henzler.
Strategieschwenk erschüttert Vertrauensverhältnis
Die DSAG hat SAP erst Anfang des Jahres dafür kritisiert, die On-Premise-Kunden nicht genug im Blick zu haben und sich zu stark auf cloudbasierte Innovationen und Angebote zu konzentrieren. „Wer bisher auf S/4HANA On-Premise gesetzt hat, kann nun den Eindruck gewinnen, Millionen verschwendet zu haben“, erläutert Hungershausen. „Das schafft kein Vertrauen, wenn SAP den Kunden nicht gleichzeitig klare Entwicklungspfade für einen reibungslosen Übergang in die Cloud und in die Next Generation ERP aufzeigt, ohne die bisherigen Investitionen zu gefährden.“ Zudem brauchen die Kunden eine verlässliche Aussage von SAP, mit welchen konkreten Erweiterungen künftig in einer On-Premise-Umgebung zu rechnen ist.“
In den vergangenen Jahren hat SAP auch kleine und mittelständische Unternehmen ermutigt, auf S/4HANA umzusteigen. Viele Kunden haben trotz der Komplexität der Systeme die Herausforderung angenommen und Brown- und Greenfield-Ansätze umgesetzt. Sie haben erhebliche Investitionen getätigt mit der Erwartung, von der aktuellsten Technologie und Innovation zu profitieren. Die DSAG hat diese SAP-Strategie unterstützt. „Nun scheint der SAP-Fokus nicht mehr auf On-Premise-Lösungen für Enterprise-Resource-Planning (ERP) zu liegen, sondern vorrangig auf Cloud-ERP“, ordnet Henzler ein. „Bei der Bekanntgabe der Wartungsverlängerung bis 2040 hatte SAP ebenfalls zugesichert, Innovationen für S/4HANA bereitzustellen und Kunden damit Stabilität versprochen“, erinnert DSAG-Technologievorstand Sebastian Westphal. „Aus Kundensicht stellt sich jetzt die Frage, was diese Wartungs- und Innovationszusage wert ist, wenn das System nicht kontinuierlich mit Innovationen versorgt wird.“
Kommerzielle Bundles statt unabhängiger Produkte
Bei den Anwendern sorgt SAPs Strategieschwenk für Unverständnis. „In der DSAG sind viele SAP-On-Premise-Kunden organisiert, die frühzeitig auf S/4HANA gesetzt haben“, berichtet Henzler. Sie stellen sich jetzt die Frage, ob das erst der Anfang für viele weitere Innovationen ist, von denen sie nicht profitieren werden“. Ein ähnliches Vorgehen wie es die Walldorfer nun bei Künstlicher Intelligenz zeigen, hat die DSAG bereits bei der zunehmenden Modularisierung der Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme beobachtet. Wer bisher auf S/4HANA On-Premise migriert ist, der hat mehrfach bezahlt, weil SAP die Lösung erst über Jahre hinweg fertig entwickelt hat“, beklagt Westphal. „Diese Investitionen der First Mover haben teilweise zweistellige Millionenbeträge erreicht.“
Die Frage, was noch zu erwarten ist, sei berechtigt vor dem Hintergrund, dass RISE with SAP und Grow with SAP keine unabhängigen Produkte sind. „Tatsächlich handelt es sich laut Henzler im Wesentlichen um zwei kommerzielle Bundles, in denen S/4HANA Private Cloud oder S/4HANA Public Cloud enthalten sind. S/4HANA in der Private Cloud sei im Grunde genommen eine On-Premise-Technologie, die in einem anderen Betriebs- und Lizenzmodell angeboten werde. Das werfe die Frage auf, warum Innovationen nicht auch für On-Premise-Kunden verfügbar sein sollen. „Die Begründung für die Priorisierung der Public Cloud ist angesichts ihres Potenzials nachvollziehbar“, erläutert Henzler. „Das gilt allerdings nicht für die Einschränkung für On-Premise-Kunden bei Innovationen und Erweiterungen, die auf der Business Technology Platform basieren. Das scheint eine rein unternehmerische Entscheidung zu sein.“
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SAP-Kunden mit On-Premise-Systemen nutzen in Teilen einen anderen funktionalen Umfang als jene, die S/4HANA Private Cloud Edition einsetzen. In der Verwaltung beispielsweise kämen Module wie das Travelmanagement und die SAP Learning Solution zum Einsatz, die nur On-Premise verfügbar sind. „Die Kunden aus der Verwaltung erwarten nun eine Antwort, wie sie an künftigen Neuerungen teilhaben können“, warnt Henzler.
Auch beim Thema Nachhaltigkeit tut sich SAP laut DSAG mit diesem Vorgehen weder sich selbst noch seinen Kunden einen Gefallen. Der Standardsoftwerker werbe damit, Unternehmen nachhaltiger zu machen, verlange jedoch für die erforderlichen Erweiterungen eine zusätzliche Gebühr: „Die angekündigten Lösungen existieren noch gar nicht und sollen dennoch schon separat bepreist werden“, kritisiert Westphal. „Das ist nicht nachvollziehbar, denn dadurch wird ein erheblicher Teil der SAP-Kunden ausgeschlossen.“
Gleiche Innovationen für On-Premise als Ziel
Insgesamt haben die Aussagen von SAP-CEO Christian Klein eine rege Diskussion über die Cloud entfacht. Die DSAG fordert, dass die SAP sämtliche Innovationen für die S/4HANA Public Cloud oder Private Cloud auch für S/4HANA On-Premise mit identischem Leistungsumfang zur Verfügung stellt. DSAG und SAP haben Gespräche aufgenommen, um Wege in die Cloud aufzuzeigen und andererseits On-Premise-Investitionen zu schützen. „Die funktionale Weiterentwicklung der Lösungen war schon immer ein Bestandteil der Wartung“, erinnert Hungershausen. „SAP muss sich nun einmal mehr die Frage nach dem Gegenwert der Wartungsgebühren stellen.“ Jürgen Frisch