Vorformulierte Antworten auf Mitarbeiter-Anfragen in Sachen Compliance: So unterstützt ein spezialisierter Chatbot die Rechtsabteilung des Energieversorgers EnBW. Zum Einsatz kommt die Power Platform von Microsoft. Um Halluzinationen des Systems zu verhindern, prüfen Juristen jede Antwort. | Diese Erfolgsgeschichte gibt es auch als Podcast – gleich anhören!
Quelle: Microsoft Copilot
Microsoft Power Platform im Einsatz:Überall dort, wo unsere Rechtsabteilung die Mitarbeiter in Sachen Compliance berät, nutzen wir eine Sammelmailbox, in der alle Anfragen landen“, berichtet Philipp Heck, der bei EnBW Baden-Württemberg AG als Legal Tech Engineer die Digitalisierung der Rechtsabteilung vorantreibt.
Quelle: EnBW
„Unser Compliance-Chatbot zieht diese Anfragen in ein Ticketsystem und kategorisiert sie. Anschließend erstellt das System einen Vorschlag für die Antwort und legt diesen der zuständigen Juristin beziehungsweise dem zuständigen Juristen vor.“
Die Compliance-Anfragen betreffen beispielsweise Zuwendungen, die EnBW-Mitarbeiter von Lieferanten erhalten. Es könnte jemand einen großen Obstkorb im Wert von 84 Euro erhalten und will nun wissen, ob er das annehmen darf. Für seine Antwortvorschläge greift der Chatbot sowohl auf eine Datenbank mit den Compliance-Richtlinien des Unternehmens als auch auf historische Anfragen samt Antworten zurück. Aus der Kombination dieser beiden Quellen baut sich der Bot eine Antwort zusammen und schlägt diese dem Mitarbeiter der Rechtsabteilung vor. „Vielleicht hat vor zwei Jahren ein anderer Mitarbeiter eine Käseplatte im gleichen Wert bekommen, und die damalige Antwort passt auch heute“, erklärt Heck das Prinzip. Der Vorschlag landet in einer vorformulierten Mail, die die Juristin beziehungsweise der Jurist zur Prüfung erhält. Ist die Mail inhaltlich korrekt, wird sie freigegeben und wandert zum Fragesteller.
Vorformulierte Mails und ein gestraffter Workflow
Der Business-Vorteil dieses intelligenten Systems liegt in der eingesparten Arbeitszeit: Das Beraten in Compliance-Fragen ist eine von zahlreichen Aufgaben der Rechtsabteilung. In der Vergangenheit haben die Juristen über 1000 Compliance-Anfragen pro Jahr erhalten. Bei 200 Arbeitstagen entspricht das mehr als fünf Anfragen pro Tag. Dank des Bots müssen sie nun nicht mehr manuell in früheren Anfragen recherchieren, um eine Antwort zu erstellen.
Der zweite Erfolgshebel des Projekts ist das Ticketsystem, das die Anfragen bündelt. Vorher mussten die Rechtsmitarbeiter das Sammelpostfach selbst abfragen. Heute liegt alles an einem Ort: „Die Anfragen sind vorsortiert und auf die richtigen Kategorien gefiltert“, berichtet Heck. „Und ich kann schnell auf die früheren Anfragen und Antworten zugreifen. Dieses Gesamtpaket erleichtert und beschleunigt das Beantworten der Fragen deutlich.“
Weitere Arbeitszeit spart EnBW dadurch ein, dass der Compliance-Bot jede Antwort inklusive der Korrekturen in seiner Datenbank abspeichert. Die Erweiterung der Datenquellen trägt dazu bei, dass der Chatbot mit jeder Anfrage dazulernt und präzisere Antworten liefern kann.
Menschliche Prüfung verhindert Halluzinationen der KI
Da Künstliche Intelligenz halluzinieren kann, muss EnBW die inhaltliche Qualität der Antworten sicherstellen. Der Kniff dabei: Das System agiert niemals autonom, wie Jessica Kreidel, Product Owner Low Code in der IT-Abteilung von EnBW, berichtet.
Quelle: EnBW
„Wir geben keine Antworten an die Nutzer raus, ohne dass eine Juristin oder ein Jurist diese prüft. Das System erstellt nach einer Anfrage ein Ticket und macht einen Antwortvorschlag. Ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung prüft den Inhalt, gibt ihn frei und mailt dann die Antwort.“
Die spannende Frage ist nun, wie gut die Antworten des Compliance-Chatbots ausfallen. Überraschend gut, allerdings teilweise in einer leicht holprigen Sprache, wie Heck berichtet: „Ein bisschen was verändern die Juristen an den Antworten fast immer. Allerdings betrifft das üblicherweise den Sprachstil. Inhaltlich ist die Antwort in den meisten Fällen korrekt oder nur marginal falsch.“ Grobe Fehler sind selten und fallen den Juristen sofort auf.
„Für eine stringente Rechtsberatung ist die Künstliche Intelligenz heute noch nicht ausgereift “, erläutert Heck. „Man kann sich nicht darauf verlassen, weil immer etwas schief gehen kann. Daher ist für uns die Kontrolle der Ergebnisse durch einen Menschen unerlässlich.“
Microsoft Power Platform als technische Basis des Compliance-Bots
Beim Compliance-Bot kommt die komplette Bandbreite von Microsofts Power Platform zum Einsatz: Das Frontend ist eine Model Driven App, und im Backend laufen die Power Automate Flows. Die Künstliche Intelligenz kommt vom Azure AI Foundry, als Datenquelle dient Dataverse.
Die Microsoft Power Platform nutzt Low-Code-Technologie, und das bietet Profis und Einsteigern gleichermaßen Vorteile, wie Jessica Kreidel berichtet: „Professionelle Entwickler können damit schneller als bisher arbeiten, gleichzeitig erhalten Mitarbeiter der Fachabteilung die Möglichkeit, kleine bis mittlere Projekte der Digitalisierung auch selbst umzusetzen.“ Insgesamt hat das Low-Code-Konzept allerdings Grenzen: „Wir haben im Fachbereich einige versierte Kolleginnen und Kollegen, die sich den einen oder anderen Workflow selbst bauen“, berichtet Heck. Das bringt im Alltag Erleichterungen. Ein Projekt wie der Compliance-Bot ist aber zu komplex, als das es Citizen-Developer alleine stemmen können. Professionelle Entwickler seien beispielsweise für das Erstellen der Anonymisierungs-Instanz unerlässlich.
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Citizen Developer lassen sich zwar durch die IT-Abteilung in ihren Projekten unterstützen, aber auch das hat Grenzen: „Wir haben 30.000 potenzielle Anwender der Power Plattform im Unternehmen, und im Low Code-Team sind wir zu siebt“, erklärt Jessica Kreidel. Demnach können wir nicht jeden Workflow mit bauen oder kontrollieren.“ Hilfe zur Selbsthilfe heißt daher das Motto. Einmal pro Woche können sich Citizen Developer in einer Sprechstunde mit konkreten Fragen an den Low Code Platform Service wenden. Ansonsten gibt es für sie Schulungen und Community-Treffen. Größere Projekte mit Einsatz Künstlicher Intelligenz liegen stets in der Hand des IT-Teams, das zusammen mit der Fachabteilung eine Lösung erarbeitet.
Einmal im Jahr veranstaltet EnBW einen Power-Platform Hackathon, also eine kollaborative Veranstaltung zum Entwickeln von Software. Die Leitfrage für die Fachabteilungen lautet: „Wo könnte Künstliche Intelligenz in der Tagesarbeit Zeit sparen und Abläufe verbessern?“ Die besten fünf Use-Cases werden im Hackathon bearbeitet. Genau in einem solchen Hackathon hat der Fachbereich Compliance im Jahr 2024 die Idee für den Compliance-Bot eingereicht und damit den ersten Platz gewonnen.
Mitarbeiter-Experimente brauchen klare Regeln
Angesichts spannender Use-Cases fragen sich viele Unternehmen, wie sie selbst mit Künstlicher Intelligenz starten: „Langsam anfangen, die Mitarbeiter schulen, und ihnen die Möglichkeit geben, ohne Angst damit zu experimentieren“, rät Heck. Unternehmen müssen Richtlinien für den KI-Einsatz festlegen und gewährleisten, dass sensible Daten nicht ungeprüften Modellen überlassen werden.
Bei der Technologie empfiehlt Jessica Kreidel die Werkzeuge von Microsoft: „Die Microsoft Power Platform hat ihre Vorzüge, insbesondere, wenn Unternehmen bereits im Microsoft-Kosmos unterwegs sind. Interessierte Unternehmen sollten sich die Power Plattform, Data Verse und das Copilot Studio anschauen.“ Copilot Studio ist die Weiterentwicklung der Power Virtual Agents und bietet eine No-Code-Plattform zum Erstellen von Conversational-Chatbots und Autonomous-Agents.
Insgesamt sollte der Fokus stets auf den Prozessen liegen und nicht auf der Technologie: „Künstliche Intelligenz ist vielleicht die Kirsche auf der Sahne. Aber man sollte nicht jedes Projekt nur damit starten. Wichtig ist der ganzheitliche Blick und der Austausch mit den Fachabteilungen. Die kennen die Probleme des Tagesgeschäfts am besten. Die IT-Abteilung ist oft sehr weit weg von den Prozessen.“ Jürgen Frisch