Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) haben Bund und Länder deutschen Krankenhäusern seit dem 1. Januar 2021 insgesamt 4,3 Milliarden Euro für Investitionen in moderne Notfallkapazitäten, Digitalisierung und IT-Sicherheit zur Verfügung gestellt. Die Gelder werden inzwischen ausgezahlt, doch immer noch befinden sich die meisten Krankenhäuser laut einer Analyse des Konsortiums Digitalradar in einem „ungesunden Mittelmaß“, was den Grad der digitalen Transformation anbelangt.
Auch der Wissenschaftsrat beklagt in seinem aktuellen Positionspapier große Defizite bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens – insbesondere im internationalen Vergleich. Doch woran liegt das und wie können die Probleme gelöst werden? Vier Experten für Digitalisierung an drei großen deutschen Krankenhäusern und einer Hochschule nehmen Stellung zu der Frage, welche Chancen und Herausforderungen sie für die digitale Transformation im Gesundheitswesen sehen.
Bessere Patientenversorgung dank IT
Informationstechnik (IT) bildet heute eine der unverzichtbaren Grundlagen für den reibungslosen Krankenhausbetrieb. Von der Essensversorgung bis zur Gebäudeleittechnik – zahlreiche Prozesse der Patientenversorgung werden von IT-Systemen gesteuert. „Medizin und Pflege stehen natürlich im Fokus der digitalen Transformation im Krankenhaus“, erklärt Jens Schulze, CIO am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main. Viele Krankenhäuser nutzen inzwischen fortgeschrittene digitale Technologien: vom Einsatz operativer Robotik, neuen Bildgebungsverfahren in der Diagnostik, über digitale Visitenwagen oder Bedside-Terminals in der Betreuung der Patienten bis hin zur Entwicklung eigener Kommunikations-Tools.
Hürde Nummer 1: Personal – und folglich: Zeitmangel
Dennoch hakt es beim digitalen Fortschritt im Krankenhaus an einigen Stellen gewaltig. „Die größte Hürde ist der chronische Personal- und Zeitmangel in Medizin und Pflege“, meint Marco Reich, Referent für digitale Strategie und Innovation beim Diakoniewerk Martha-Maria e. V. in Nürnberg. Die Arbeitsabläufe sind extrem eng getaktet, das Personal nicht erst seit Corona im Dauerstress – in dieser Situation bedeutet die Einführung neuer digitaler Prozesse zunächst einfach nur eine Zusatzbelastung, die von den Kostenträgern nicht finanziert wird. Digitalisierung ist kein Selbstläufer, für die erfolgreiche Implementierung braucht es eine (langfristige) Strategie: „Wir müssen die Menschen mitnehmen“, betont Rudolf Dück, CIO am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. „Komplexität – wo immer möglich – reduzieren, und intuitiv nutzbare Software schaffen, damit sie auch von den Anwendern als Entlastung wahrgenommen wird.“
Hürde Nummer 2: Technische Voraussetzungen
Dafür müssen jedoch zuerst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. „In vielen Häusern gibt es noch gar kein flächendeckendes WLAN“, erklärt Jens Schulze. Die Nutzung vieler technischer Lösungen und mobiler Geräte ist folglich nicht möglich. Auch im Bereich Software gibt es große Hürden: „Das eine IT-System gibt es nicht“, betont Marco Reich. Zentral für den Krankenhausalltag ist das Krankenhausinformationssystem (KIS). Darüber hinaus herrscht in vielen Krankenhäusern ein Nebeneinander von Insellösungen. Die verschiedenen Systeme unterschiedlicher Hersteller können häufig nicht miteinander kommunizieren und wichtige Kontextinformationen gehen bei der Datenübermittlung verloren.
Hürde Nummer 3: Aufwand und Kosten
Für die Implementierung einer interoperablen IT-Struktur und die Einbindung in die Telematikinfrastruktur (TI), die die Vernetzung und den sicheren Informationstransfer zwischen allen Akteuren im Gesundheitssystem erst ermöglicht, müssen neue Kommunikationsstrukturen geschaffen werden: Für WLAN mit Access Points auf allen Stationen über neue Leitungen bis hin zu Komponenten wie eHealth-Konnektoren und Kartenlesesystemen summieren sich die Investitionskosten schnell zu Millionenbeträgen. Beträge, die die meisten Krankenhäuser schlichtweg nicht aufbringen können.
„Mit dem Krankenhauszukunftsfond werden zwar Mittel für solche Investitionen bereitgestellt, doch auch nach der Einführung neuer digitaler Technologien und Anwendungssysteme fallen Kosten in Höhe von circa 10 Prozent des Investitionsvolumens für den weiteren Betrieb und die Wartung an. Dafür gibt es derzeit keinen Topf“, gibt Martin Staemmler, Professor für Medizin-Informatik an der Hochschule Stralsund zu Bedenken.
Entlastung von Ärzten und Pflegepersonal
Für Marco Reich muss der Mensch im Mittelpunkt aller Prozesse der digitalen Transformation stehen: „Wir setzen digitale Technologien nur ein, wenn sie mehr Zeit, mehr Qualität schaffen – für unser Personal und für unsere Patienten.“ So kann der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Diagnostik Ärzte unterstützen, etwa wenn Befunde bildgebender Verfahren vorab auf Auffälligkeiten untersucht werden.
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„Dank Digitalisierung können auch Pflegekräfte bei Routinetätigkeiten entlastet werden“, berichtet Schulze: Mobile Vitaldatenerfassung via Tablet am Bett des Patienten, ein qualifizierter Schwesternruf über ein Bedside-Terminal, der zwischen Notruf und Serviceleistungen unterscheiden kann, ein aufgabenrelevanter, ortsunabhängiger Zugriff auf Patientendaten sowie Checklisten für die Behandlungs- und Pflegedokumentation beim Patienten – all diese Maßnahmen schaffen mehr Zeit für die Pflege und stärken zudem den Patientenkontakt.
Chancen für die Patienten
Insgesamt verbessern sich durch die Digitalisierung in der Medizin die Behandlungsqualität und die Sicherheit für die Patienten. Das gilt für moderne Technologien wie den Einsatz von OP-Robotern, die etwa mit einem Tremorfilter die Präzision eines Eingriffs erhöhen können. Und es gilt genauso für interoperable IT-Strukturen, die wichtige Behandlungsdaten auch über Sektorengrenzen hinweg bereitstellen: „Für chronisch Kranke bedeutet das weniger Informationsbrüche bei den verschiedenen Behandlern“, erläutert Martin Staemmler. „Auch die Vermeidung von Medikamentenwechselwirkungen ist ein wichtiger Aspekt.“
Nahtlose Verknüpfung
Interoperabilität ist angesichts der Heterogenität an IT-Systemen im Krankenhaus schwer zu erreichen, insbesondere wenn die Kommunikation zwischen zwei Institutionen erfolgt. Denn: „Interoperabilität spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, und reicht letztlich bis zur Interoperabilität auf der prozessualen Ebene. Dieser Blick fehlt leider viel zu häufig“, betont Dück. Wichtigste Voraussetzung für die system- und einrichtungsübergreifende Verfügbarkeit von Daten ist eine standardisierte Form der Patienten- und Behandlungsinformationen. Medienbrüche müssen vermieden und der Transfer strukturierter Daten erleichtert werden. Das heißt auch: Abschied von der Patientenkurve in Papierform.
ECM als Integrationsplattform
Dieser Prozess kann durch die Nutzung eines Enterprise Content Management-Systems (ECM) und einer digitalen Patientenakte erheblich vereinfacht werden. Eine der meistgenutzten Funktionen im Krankenhaus ist die revisionssichere Archivierung. ECM-Suiten wie z. B. enaio von Optimal Systems Healthcare Berlin können sogar mehr: „Das ECM kann zu einer Interoperabilitäts-Plattform ausgebaut werden“, betont Jens Schulze. „Notwendige technische Voraussetzung hierfür ist die Nutzung von Standards wie HL7 v2 Nachrichten, HL7 FHIR oder IHE-XDS Profile mit den Akteuren Repository, Registry, Document Source und Consumer“ erläutert Staemmler. Durch die Integration aller gängigen KIS, Laborsysteme (LIS), RIS/PACS sowie ERP- und FIBU-Software fließen alle relevanten patientenbezogenen Daten aus Medizin und Verwaltung in einer digitalen Patientenakte zusammen und können orts- und zeitunabhängig abgerufen werden. Ein ECM kann so zur Reduktion der Komplexität beitragen – es gibt eine einheitliche Oberfläche und einen einheitlichen Datenpool, der auch die Einbindung in die institutions- und sektorenübergreifende Kommunikation erleichtert.
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