Fertigungsunternehmen brauchen eine durchgängige Digitalisierung, um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. Ein Manufacturing Execution System (MES) hilft dabei Abläufe zu optimieren und Effizienz, Qualität und Geschwindigkeit zu verbessern.
Überblick gefragt: Die meisten Fertigungsleiter wissen, welchen Auftrag sie gerade bearbeiten, wie weit dieser ist und welche Werkzeuge sie dafür benötigen. Schwieriger fällt es, das künftige Potenzial der Fertigungsmaschinen und die häufigsten Störungsgründe zu benennen. Noch schwieriger ist die Suche nach den Ausweichmöglichkeiten bei einer Störung. Dabei sind gerade bei dieser Frage schnelle Antworten enorm wichtig.
Um immer die richtige Antwort parat zu haben, benötigen Unternehmen in der Fertigung maximale Transparenz – und zwar auf Knopfdruck. Gemeinsam mit der Reaktionsfähigkeit ist das eine der primären Zielgrößen, die ein Unternehmen verfolgen muss. Transparenz und Reaktionsfähigkeit sind wiederum die Voraussetzungen für Wirtschaftlichkeit – die dritte Zielgröße im magischen Dreieck der perfekten Produktion. Erst wenn sich die Prozesse eines Fertigungsunternehmens über schnelle Regelkreise regeln lassen, lässt sich die Wirtschaftlichkeit steigern und somit die Wettbewerbsfähigkeit sichern.
Störungen haben oft kleine Ursachen
Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht die Zusammenhänge: Ein winziger Metallspan im Öl kann dazu führen, dass eine Pumpe versagt. Infolgedessen wird das Lager beschädigt und verursacht den Komplettausfall einer Maschine. Der Auftrag wird nicht rechtzeitig fertig und aufgrund der Überschreitung des Liefertermins kommt es zu einer Konventionalstrafe. So läuft es noch immer in vielen Fabriken.
In der transparenten, reaktionsfähigen und wirtschaftlichen Produktion sähe dieses Szenario anders aus: Der Schichtleiter müsste nur einen Blick in seine Fertigungs-IT werfen, um zu sehen, auf welche Maschine er bei einer Störung ausweichen kann (Transparenz). Dank Systemunterstützung könnte er mit wenigen Klicks die Aufträge umplanen (Reaktionsfähigkeit) und den Liefertermin einhalten (Wirtschaftlichkeit). Es geht noch besser: Nutzt das Unternehmen die Möglichkeiten der modernen Fertigungs-IT, wäre die Maschine gar nicht erst ausgefallen. Predictive Maintenance oder vorausschauende Wartung heißt das Zauberwort. Die lückenlos erfassten Maschinen- und Prozessdaten könnten präzise analysiert werden, um Maschinen proaktiv zu warten und ungeplante Stillstände zu vermeiden.
Vier Bausteine der perfekten Produktion
Der oben beschriebene Fall zeigt, dass das Ziel einer perfekten Produktion eng an die Digitalisierung gekoppelt ist. Für die erfolgreiche Transformation zur Smart Factory reicht es allerdings nicht, die modernsten Produktionsanlagen und ein Manufacturing Execution System (MES) zu installieren. Unternehmen müssen auch die Rahmenbedingungen schaffen, um die Fertigungs-IT effektiv zu nutzen. Ein ganzheitlicher Ansatz widmet sich daher den folgenden Aspekten:
- Wertstrommanagement 4.0
- Schlanke Wertströme
- Schlanke Unterstützungsfunktionen
- Nachhaltige Prozessverbesserung
Diese vier Bausteine haben sich bewährt, in Unternehmen schrittweise die perfekte Produktion zu erreichen. Sie zielen darauf ab, Schwachstellen zu identifizieren und künftig zu vermeiden.
Baustein 1: Wertstrommanagement 4.0
Der erste Baustein umfasst im Wesentlichen die Wertstromanalyse 4.0 und das Wertstromdesign. Er dient also dazu, die Prozesse aufzunehmen, zu analysieren und neu zu konzipieren. Neben dem Herstellungsprozess und dem Materialfluss gilt den Informationsflüssen und den Planungsabläufen besondere Beachtung. Schließlich steuern sie die Fertigungsprozesse, bei denen es auf jede Minute ankommt. Die Erkenntnisse der 360-Grad-Analyse werden in einem Wertstromdiagramm dargestellt. Um die so veranschaulichten Informationen schnell bewerten zu können, erstellen die Systeme ein Durchlaufzeitdiagramm und berechnen den Prozesswirkungsgrad als Maß für die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprozesses. Für den Bereich der Informationsflüsse und Planungsprozesse wird zum Beispiel die Anzahl der eingesetzten Tools und der Digitalisierungsgrad ermittelt.
Nun liegen die Fakten zu den Prozessen in der Produktion und dem produktionsnahen Umfeld klar auf der Hand. Fragen nach dem Herstellungsprozess, dem Informationsfluss, dem Planungsprozess und den eingesetzten IT-Tools lassen sich beantworten und die nächsten Schritte daraus ableiten: ein Wertstromdesign mit Sollkonzept sowie eine Roadmap, um das Sollkonzept umzusetzen.
Baustein 2: Schlanke Wertströme
Der zweite Baustein zielt darauf ab, schlanke Produktionsprozesse zu etablieren, also das im ersten Baustein erarbeitete Sollkonzept konsequent umzusetzen. Dies geht damit einher, Verschwendung zu eliminieren. Zu den sieben gängigen Arten der Verschwendung in Anlehnung an Taiichi Ohno, den früheren Produktionsleiter von Toyota und Begründer der Lean Production, zählen: Überproduktion, Wartezeiten, Transport, ineffiziente Bearbeitung, volle Lager, überflüssige Bewegungen und Fehler. Diese können um die mangelnde Mitarbeitereinbindung und -motivation sowie die Verschwendung durch Informationsschnittstellen ergänzt werden. Für eine erfolgreiche Umsetzung schlanker Wertströme ist die aktive Einbindung der Mitarbeiter das A und O.
Baustein 3: Schlanke Unterstützungsfunktionen
Der dritte Baustein befasst sich mit den produktionsnahen Unterstützungsfunktionen, also der Grob- und Feinplanung und deren Integration in die Fertigungsprozesse. Ein plakatives Beispiel ist die Optimierung der Planung: Häufig wird die Produktion im ERP-System (Enterprise Resource Planning) grob auf Kalenderwochen geplant. Die Feinplanung auf die Arbeitsplätze und Maschinen erfolgt dann tages- oder schichtgenau an der Plantafel im Meisterbüro oder in Microsoft Excel. Dabei bleiben allerdings die Transparenz und die Reaktionsfähigkeit im Sinne schneller Regelkreise völlig auf der Strecke. Da tatsächliche Kapazitäten und Auftragsrückstände nicht berücksichtigt werden, entstehen Fertigungsaufträge und Termine, die so schlichtweg nicht machbar sind. Ein integriertes Planungstool eines Manufacturing Execution Systems (MES) schafft Abhilfe. Es unterstützt dabei, die Transparenz und Reaktionsfähigkeit herzustellen. Schließlich müssen in der perfekten Produktion nicht nur das Material, sondern auch die Informationen fließen.
Baustein 4: Nachhaltige Prozessverbesserung
Sobald die Prozesse verschlankt und digitalisiert sind, geht es im vierten Baustein darum, die Veränderungen nachhaltig im Unternehmen zu implementieren und sukzessive weitere Verbesserungen zu erzielen. Und das quasi nebenher im Produktionsalltag. Wichtig ist dabei, Ziele zu definieren und die richtigen Kennzahlen auszuwählen, um die Zielerreichung zu messen. Dann folgt der Aufbau von Regelkreisen und die zyklische Auditierung. Diese stellt sicher, dass Prozesse zeitnah an Veränderungen angepasst werden und die Veränderungsprozesse generell nicht wieder von der Agenda verschwinden, ohne dass die Potenziale ausgeschöpft werden.
Fertigungssteuerung als Basis für die Smart Factory
In den vier Bausteinen der perfekten Produktion kommt dem Manufacturing Execution System als Basis für die Smart Factory eine wichtige Rolle zu. Werden die relevanten Lean-Methoden von geeigneten MES-Funktionen flankiert, ist das die beste Voraussetzung, um im Projekt gut voranzukommen. Da ein MES die Fertigungsdaten in Echtzeit erfasst, eignet es sich ideal, um kurze Reaktionszeiten und schnelle Regelkreise in der Produktion zu realisieren. Im eingangs genannten Beispiel mit dem Metallspan im Öl und dem daraus resultierenden Maschinenausfall zeigt sich, wie wichtig es ist, Störungen schnell zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern. Voraussetzung dafür ist eine permanente Überwachung der Produktion – von der Terminsituation über den Maschinen- und Werkzeugstatus bis zur Personalverfügbarkeit und der Produktqualität.
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Schnelle Regelkreise mit 5 Elementen
Ein Manufacturing Execution System organisiert schnelle Regelkreise für die Fertigung. Fünf Elemente kommen dabei zum Tragen:
- Überwachung der Produktion in Echtzeit
Um die Daten automatisch zu erfassen, werden Maschinen und weitere Peripherie über Schnittstellen direkt ans MES angebunden. Doch auch eine manuelle Datenerfassung ist möglich. Die Betriebsdatenerfassung liefert den schnellen Überblick über die aktuelle Terminsituation, die Maschinendatenerfassung steuert Informationen zum Status von Maschinen und Anlagen bei. Der Operator sieht im System auf einen Blick, ob die Maschine läuft (grün) oder nicht (rot) und kann ohne Zeitverlust auf einen Stillstand reagieren. Für die Planung sind zum Beispiel auch Personalkapazitäten und die Qualifikation der Mitarbeitenden sofort ersichtlich.
- Kurzfristige Reaktion auf Ereignisse
Ein Eskalationsmanagement ermöglicht es, kurzfristig auf Ereignisse zu reagieren. Neben der bereits genannten Maschinenstörung kann auch das Über- oder Unterschreiten des Grenzwerts eines Qualitätsmerkmals dazu führen, dass der Qualitätsbeauftragte benachrichtigt wird. Oder der Einrichter wird informiert, sobald die Toleranzgrenze eines Prozesswerts verletzt wird. Im Falle eines Maschinenstillstands können mit einem MES schnell die Handlungsalternativen simuliert und die Aufträge per Drag-and-drop neu eingeplant werden. Gleiches gilt für die Personalplanung.
- Berechnung und Visualisierung von Kennzahlen
Ohne Kennzahlen keine Prozessverbesserung: Ein Manufacturing Execution System ist das ideale Tool, um Kennzahlen zu berechnen und zu visualisieren. Es kann nicht nur die Standardkennzahlen wie Nutzungsgrad, OEE-Index (Overall Equipment Effectiveness) oder Termintreue darstellen. Aus den erfassten Daten können zum Beispiel auch der Prozesswirkungsgrad und die Durchlaufzeit ermittelt werden. Darüber hinaus können Daten über verschiedene Zeiträume miteinander verglichen werden. Jede Unternehmensebene erhält die Informationen, die sie benötigt.
- Der kontinuierliche Verbesserungsprozess
Auch beim Vermeiden von Störungen und beim Verbessern instabiler Prozesse helfen MES-Systeme. Der vierstufige Regelkreis des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses mit den Elementen Plan, Do, Check, Act beschleunigt sich mit diesen Systemen erheblich, da die Daten auf Knopfdruck zur Verfügung stehen. Dank des größeren Detailgrads der Informationen lassen sich mehr Potenziale aufdecken und Verbesserungen schneller realisieren.
- Datenbereitstellung für ERP-Systeme
Ein MES meldet die relevanten Daten aus der Produktion in definierten Zeitintervallen an das übergeordnete ERP-System – und schließt somit den Regelkreis. Anhand solcher Daten wie der tatsächlichen Kapazitätsauslastung wird die Fertigung mittel- bis langfristig geregelt. Die Informationen dienen zudem der kaufmännischen Nachkalkulation und Pflege der Stammdaten.
Hat ein Unternehmen alle vier Bausteine der perfekten Produktion umgesetzt und über ein Manufacturing Execution System schnelle Regelkreise organisiert, ist die Fertigung den drei Zieldimensionen Transparenz, Reaktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit ein ganzes Stück näher. Die Fertigungsleiter nutzen das Potenzial ihrer Anlagen optimal, kennen die häufigsten Ursachen für Störungen und wissen, auf welche Maschine sie ausweichen können, wenn ein kleiner Metallspan im Getriebeöl ihre Planung durcheinanderwirbelt. jf
Der Autor
Jürgen Rieger ist Mitglied der Geschäftsleitung der Perfect Production GmbH und Autor des Fachbuchs „Die perfekte Produktion. Manufacturing Excellence in der Smart Factory.“ Die Perfect Production GmbH ist Teil der MPDV Gruppe.