Über Quantencomputer kursieren aktuell zahlreiche Mythen. Mark Mattingley-Scott, Europachef von Quantum Brilliance, einem deutsch-australischen Hersteller von Quantenhardware, zeigt das Potenzial der komplexen Technologie auf.

Quantencomputing nutzt die Eigenschaften der Quantenmechanik, um Probleme zu lösen, die selbst die leistungsstärksten klassischen Computer nicht berechnen können. Der diesjährige Physiknobelpreis hat diese Technologie in die Öffentlichkeit gerückt. Es existieren viele Mythen über Quantencomputer, die der Realität nicht standhalten.
Mythos 1: Quantencomputer sind klassischen Computern überlegen
So pauschal ist diese Aussage nicht korrekt. Entscheidend ist das Einsatzgebiet. Auf einem Quantencomputer lässt sich zum Beispiel gängige Office-Software nicht sinnvoll betreiben. Geht es hingegen um die Lösung von Problemen durch das Berechnen von Wahrscheinlichkeitsverteilungen, haben Quantencomputer massive Vorteile gegenüber klassischen binären Systemen.
Mythos 2: Quantencomputer berechnen alle Lösungen parallel
Das ist nicht zu 100 Prozent korrekt, denn ein Quantencomputer erschafft keine mysteriöse neue Dimension, in der alles parallel abläuft. Allerdings sind Quantenrechner sehr effizient darin, komplexe Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Sie nutzen dazu Superpositionen, also den Zustandsraum aller möglichen Überlagerungen und Verschränkungen. Dabei können sie viele mögliche Zustände gleichzeitig darstellen. Das bedeutet aber nicht, dass sie alle Lösungen parallel durchrechnen und am Ende automatisch alle Ergebnisse ausgeben. Beim Messen kollabiert der Quantenzustand in genau eine Lösung. Der Vorteil entsteht erst durch Quantenalgorithmen, die Interferenz gezielt einsetzen, um die Wahrscheinlichkeit der richtigen oder nützlichen Lösung zu verstärken und andere zu unterdrücken.
Mythos 3: Qubits speichern unbegrenzt viele Informationen
Herkömmliche Rechner arbeiten mit Bits, die entweder den Wert „Null“ oder „Eins“ haben können. Ein Quantencomputer nutzt hingegen sogenannte Quantenbits, die in beiden Zuständen zugleich sein können. Diese Quantenbits – auch Qubits genannt – speichern keine Informationen im herkömmlichen Sinne. Was mit ihrer Anzahl jedoch exponentiell wächst, sind die bereits erwähnten Superpositionen. So spannen beispielsweise 32 Qubits einen Zustandsraum von 232 Dimensionen auf, was etwa 4,3 Milliarden Basiszuständen entspricht. Das bedeutet aber nicht, dass all diese Informationen gleichzeitig gespeichert oder ausgelesen werden können – beim Messen erhält man immer nur ein Ergebnis mit einer Länge von 32 Bits.
Mythos 4: Quantencomputer brauchen energiefressende Kryo-Kühlsysteme
Der Energiebedarf von Quantencomputern hängt von den eingesetzten Qubits ab. Quantenprozessoren, die Stickstoff-Fehlstellen-Zentren in Diamantsubstraten als Qubits nutzen, brauchen keine energieintensive Kühlung. Denn dank des stabilen Gitters aus Kohlenstoffatomen bleiben die nötigen Quanteneigenschaften auch bei Zimmertemperatur erhalten. Supraleitende Qubits hingegen müssen mit einem Kryo-Kühlsystem bis nahe dem absoluten Nullpunkt gekühlt werden. Das verbraucht enorme Mengen an Strom.
Mythos 5: Alleine die Zahl der Qubits zeigt die Leistungsfähigkeit
Die Anzahl der Qubits ist eine der wichtigsten Kennzahlen im Quantencomputing. Mit jedem Qubit verdoppelt sich der Zustandsraum, wächst also exponentiell. Das heißt: Mit einem Qubit lassen sich zwei Zustände darstellen, mit zwei Qubits vier Zustände, mit 12 Qubits 212, also 4096 Zustände – und mit „nur“ 32 Qubits bereits 232, also rund 4,3 Milliarden Zustände. Ein wichtiges Detail in diesem Zusammenhang: Es geht hier immer um Qubits, die miteinander verknüpft sind und die Rechenleistung durch Zusammenarbeit kombinieren. Damit diese Zusammenarbeit funktioniert, spielen verschiedene Parameter eine zentrale Rolle. Beispielsweise die Kohärenzzeit (Wie lange arbeiten die verschiedenen Qubits zusammen?) und die Fidelität (Wie präzise sind die Operationen auf dem Quantencomputer?).
Mythos 6: Quantencomputer lösen klassische Systeme ab
Quantencomputer werden herkömmliche Systeme nie vollständig ablösen. Klassische Rechenoperationen wie die Multiplikation großer Zahlen funktionieren auf binären Rechnern wesentlich besser. Geht es aber um eine Primfaktorzerlegung großer Zahlen, sind wiederum Quantenrechner viel effizienter – wenn sie beispielsweise den Shor-Algorithmus nutzen. Das wahrscheinlichste Szenario sind hybride Systeme, bei denen Quantencomputer als Beschleuniger eingesetzt werden, um klassische Rechner bei bestimmten Berechnungen zu unterstützen.
Mythos 7: Quantencomputer machen gängige Verschlüsselung obsolet
Prinzipiell ist das durchaus möglich. Sollte es in den nächsten fünf Jahren keinen fundamentalen Durchbruch geben, dann wird das aber noch einige Jahrzehnte dauern. Umso wichtiger wird die Weiterentwicklung von Post-Quanten-Kryptographie (PQC). Deren kryptographischen Bausteine und Verfahren können, im Gegensatz zu den meisten aktuell verwendeten asymmetrischen Kryptosystemen, auch mit Quantencomputern nicht entschlüsselt werden. Entsprechende PQC-Key-Exchange-Verfahren gibt es bereits, ebenso wie einige gesetzliche Initiativen. So empfiehlt die EU ihren Mitgliedsstaaten in einem koordinierten Implementierungsfahrplan die Absicherung kritischer Infrastruktur bis spätestens Ende 2030. jf
Der Autor

Dr. Mark Mattingley-Scott ist Europachef von Quantum Brilliance, einem Hersteller von Quantencomputing-Hardware.