ERP-Projekte gehören nicht zum Tagesgeschäft von Unternehmen und insgesamt werden die Herausforderungen und Aufwände eines ERP-Projektes eher unter- als überschätzt. Umso wichtiger ist es, von Anfang an durch eine strukturierte und gut durchdachte Vorgehensweise dafür zu sorgen, dass sich das Projekt weder zeitlich noch finanziell aus dem Rahmen bewegt.
Mehr als 800 ERP-Lösungen werden derzeit im deutschsprachigen Raum angeboten. Ihre Funktionsschwerpunkte reichen von Lösungen, die sich auf die Finanzbuchhaltung konzentrieren, bis hin zu umfassenden Suiten, die quasi alle Bereiche eines Unternehmens integriert abdecken.
Analog können ERP-Projekte in punkto Umfang und Komplexität sehr unterschiedlich sein, z. B. im Hinblick auf das abgedeckte Funktions- bzw. Aufgabenspektrum, die Zahl der Mitarbeiter, die Zugriff auf das ERP-System haben, die Zahl der Standorte und die Zahl der Regionen, die durch die ERP-Lösung unterstützt werden sollen.
Schon dieser kurze Blick auf den Markt und den möglichen Scope lässt erahnen, dass es viele, sehr unterschiedlich gelagerte Herausforderungen gibt, die ein ERP-Projekt verzögern, verteuern oder gar scheitern lassen können. Entscheidend für den Erfolg des Projektes ist daher eine strukturierte Vorgehensweise von Anfang an.
Tipp 1: Prozesse prüfen und optimieren
Zur Vorbereitung des Projektes sollte die bestehende Unternehmens- und Planungsorganisation kritisch geprüft werden. Eine Organisationsanalyse, die sowieso durchgeführt werden muss, um Anforderungen an das ERP-System abzuleiten, ist oftmals ein geeigneter Startschuss für die Optimierung der Unternehmensprozesse. Das ERP-System sollte erst nach dem Beseitigen organisatorischer Schwachstellen eingeführt werden, um diese nicht zusätzlich zu manifestieren.
Tipp 2: Projekt richtig aufsetzen
Am Anfang des Projektes steht die Zusammenstellung des passenden Projektteams – eine Aufgabe, die oft unterschätzt wird. Das Kernteam umfasst im Mittelstand ca. zwei bis sechs Personen. Hinzu kommen zeitweise und themenbezogen weitere Mitarbeiter aus den Fachabteilungen, um zu gewährleisten, dass die Anforderungen aller betroffenen Unternehmensbereiche berücksichtigt werden. Der Projektleiter sollte über Projekterfahrung verfügen.
Die wenigsten ERP-Projekte scheitern an zu wenig Fachkompetenz, denn diese ist im Unternehmen in der Regel ausreichend vorhanden. Oft kranken Projektteams an zu wenig Sozial- und Methodenkompetenz.
Auch die Mitarbeiter, die nicht direkt im Projekt mitarbeiten, müssen „mitgenommen“ werden. Es passiert immer wieder, dass ERP-Projekte nach der Implementierung noch fast scheitern, weil die Anwender die neue Lösung nicht akzeptieren, sie nur widerstrebend nutzen und sich selbst Workarounds schaffen. Deshalb sollten Unternehmen von Anfang an auch viel Wert auf die interne Kommunikation des Projektes, der Ziele und der Vorgehensweise legen. Hierzu können diverse Medien wie beispielsweise Newsletter, Projektzeitung, Projekt-Homepage, Image-Filme, Interviews mit Projektbeteiligten, Projektreportagen etc. genutzt werden.
Tipp 3: Individuelle Anforderungen immer im Auge behalten
ERP-Projekte werden angesichts steigender Anforderungen an die Prozessunterstützung, den Einsatz moderner Technologien, wie z. B. künstlicher Intelligenz, und der stärkeren Vernetzung entlang der gesamten Supply Chain immer komplexer. Ein durchgängiges Anforderungsmanagement von der Auswahlphase bis hin zur Abnahme des Projekts hilft dabei, die ursprünglichen Anforderungen und Ziele während des gesamten Projekts im Auge zu behalten.
Verschiedene Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, dass je später ein Fehler oder eine Abweichung in den Anforderungen identifiziert bzw. behoben wird, umso höher der damit verbundene Aufwand bzw. die entsprechenden Kosten sind.
Ein durchgängiges Anforderungsmanagement beginnt bereits in der Auswahlphase und wird in der Einführung fortgesetzt. Es bildet damit einen roten Faden, der sich durch das gesamte Projekt zieht und letztendlich dafür sorgt, dass die ursprünglich formulierten und mit dem Einführungsdienstleister abgestimmten inhaltlichen Ziele und Anforderungen erfüllt werden.
Tipp 4: Ein passendes System auswählen
Die Entscheidung für ein bestimmtes ERP-System sollte nicht zufällig und unstrukturiert zustande kommen. Vielmehr sollten individuelle Anforderungen und vergleichbare Informationen die Grundlage für eine umfassende Marktrecherche bilden.
Das Ziel ist dabei, die Anbieter und Software-Lösungen zu finden, die die benötigten Anforderungen möglichst gut im Standard abdecken, um ein aufwändiges Customizing zu vermeiden. Dabei sollte man die Aspekte Technologie, Funktionalität und Branchenpassung berücksichtigen.
Tipp 5: Datenmigration nicht zu spät angehen
Essenziell für eine erfolgreiche ERP-Einführung ist die Migration der Daten aus den Altsystemen. Da Unternehmen in der Regel auf die jeweiligen Systeme angewiesen sind und ein Abschalten dieser über einen längeren Zeitraum nicht möglich ist, muss die Migration sorgfältig geplant und als eigenständiges Teilprojekt verstanden werden. Ähnlich einem realen Umzug ist es empfehlenswert, die Situation für eine Verbesserung der Datenqualität zu nutzen. Durch die Entfernung von Dubletten und Inkonsistenzen sowie die Anreicherung um fehlende Daten wird der Umzug in ein neues System deutlich erleichtert. Im Rahmen der Zuordnung der alten zur neuen Datenstruktur (Daten-Mapping) sichert ein konsequentes Vorgehen nach dem CRUD-Schema (Create, Read, Update, Delete) den reibungslosen Datentransfer.
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Tipp 6: Einführung mit Methode
Heute werden verstärkt agile Projektansätze für die Implementierung von Business Software propagiert. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Anwendung des Scrum-Ansatzes bei Software-Einführungen aus Sicht des Auftraggebers nur selten die erwünschten Vorteile bringt. Außerdem besteht durch die zyklisch-inkrementelle Vorgehensweise die Gefahr, dass der gesamte Leistungsumfang und wesentliche kritische Anforderungen erst zu spät im Projektverlauf identifiziert werden, was sich in der Regel in Projektverzug und Mehraufwänden niederschlägt.
Da ERP-Systeme nicht nur über einen hohen Funktionsumfang verfügen, sondern insbesondere auch eine hohe Integration/Abhängigkeit der verschiedenen Funktionsbausteine haben, empfiehlt sich für eine sichere und zielgerichtete ERP-Einführung ein hybrider Implementierungsansatz, welcher das Beste aus phasenorientiertem Wasserfall-Modell und agiler Vorgehensweise integriert. Hierbei ist essenziell, dass zu Beginn des Projektes der Leistungsumfang möglichst umfassend, konkret und verbindlich zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer abgestimmt und fixiert ist.
Die Gestaltung eines solchen hybriden Projektansatzes war die Zielsetzung bei der Entwicklung von ImplAiX®, dem „Aachener Implementierungsmodell für Business Software“.
Dabei ist das durchgängige Anforderungs- und Testmanagement der Garant für ein erfolgreiches Projekt, gewährleistet hohe Umsetzungsqualität, sorgt für kontinuierliche Transparenz hinsichtlich des Projektfortschritts und trägt somit maßgeblich zur Risikominimierung aus Sicht des Auftraggebers bei. Agilität drückt sich u. a. durch die starke Überlappung von Konzeption und Realisierung der Anforderungsbausteine aus.
Um die Durchgängigkeit der einzelnen ImplAiX®-Bausteine zu gewährleisten sowie die Kollaboration und den Informationsaustausch zwischen den Projektteammitgliedern effizient zu gestalten, braucht es entsprechende Werkzeuge und Vorlagen. Die Trovarit-eigene Online-Plattform IT-Matchmaker® wurde speziell für diese Aufgabenstellung in Business-Software Projekten konzipiert und entwickelt. Die in der IT-Matchmaker®.suite enthaltenen Werkzeuge und Vorlagen manifestieren mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Auswahl und Implementierung von Business-Software. Dazu gehören z. B. praxiserprobte Prozessreferenzmodelle, Lasten- und Pflichtenheftvorlagen etc. Außerdem können beispielsweise mittels intuitiv nutzbaren Kanban-Boards die Sprint-Planung sowie das Monitoring von Anforderungen und Testfällen unterstützt werden.
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Der Autor
Dr. Volker Liestmann ist Vorstand des auf Business-Software-Auswahl und -Betrieb spezialisierten Consultinghauses Trovarit AG.