Chipkrise, Lieferengpässe, Hackerattacken: Die Automobillogistik steht unter Dauerstrom. Wer digitalisieren will, braucht robuste Standards. Künstliche Intelligenz hilft, sofern die Datenqualität stimmt. Bei der Cybersecurity kooperieren alle Partner in der Supply Chain.

Künstliche Intelligenz in der Automotive Supply Chain: Pragmatisch, standardisiert, datengetrieben – so präsentiert sich die Zukunft der Automobillogistik auf der Fachkonferenz Trends in Automotive Logistics. Experten und Entscheidungsträger aus der Automobil- und Zulieferindustrie finden hier eine Bühne für Praxis-Impulse zur digitalen Transformation der Automotive Supply Chain. Fünf Entwicklungen stehen im Fokus der Diskussion.
1. Künstliche Intelligenz stärkt Automotive Supply Chain
„Künstliche Intelligenz wird nicht erst in den nächsten Jahren ein Gamechanger sein – sondern schon in den nächsten Monaten“, betont Tobias Mayr, General Manager IT Inbound Logistics, BMW Group. „Das Momentum ist gigantisch“.
Wer denkt, Künstliche Intelligenz sei eine reine Vision, war noch nie in einem modernen Logistiklager. Temperatur, Vibrationen, Geräusche – Sensoren sammeln, was Maschinen über sich verraten, und Algorithmen verwandeln diese Informationen in konkrete Empfehlungen, um mit Predictive Maintenance Stillstand durch Ausfälle zu vermeiden. Künstliche Intelligenz in der Automotive Supply Chain optimiert darüber hinaus die Kommissionierung, automatisieren die Lagerplatzvergabe und helfen dabei, Materialengpässen frühzeitig zu begegnen.
Im Wareneingang und in der Qualitätsprüfung bringt intelligente Bildverarbeitung Tempo und Präzision. „Selbst mit einfachen Kameras lassen sich heute robuste Bildmodelle trainieren“, berichtet Mayr. „Durch Machine Vision ergeben sich im Lager ganz neue Möglichkeiten, beispielsweise in der Bildauswertung oder im Bin Picking.“
2. Eine hohe Datenqualität ist unverzichtbar
Ob Temperaturdaten oder Videoaufnahmen: Unabhängig von der Art des Inputs sind die Datenqualität sowie eine robuste Dateninfrastruktur Dreh- und Angelpunkt der Digitalisierung. Oder, wie es Michael Kuhn, Head of Organization, Scherdel Group, es auf den Punkt bringt: „Schlechte Daten bleiben schlechte Daten – egal in welchem System.“
Viele kleine Zulieferer arbeiten noch immer manuell oder mit überholten Strukturen. Das bestätigt auch Tolga Özkundakci, Vice President IT & Systems, IAC Group: „Je tiefer man in die Supply Chain dringt, desto häufiger sieht man Microsoft Excel.“ Die daraus resultierenden Medienbrüche schaffen Reibung entlang der gesamten Lieferkette. Somit wird der Aufbau belastbarer Stammdaten und durchgängiger Transaktionsdaten zur zentralen Infrastrukturaufgabe – und zur Voraussetzung für Automatisierung, Rückverfolgbarkeit und ESG-Reporting (Environmental, Social, Governance).
Besonders bei Einführungen komplexer ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning) zeigt sich, wie schnell mangelnde Datenqualität zur Bremse wird – gerade für kleinere Unternehmen, in denen die Datenmigration parallel zum Tagesgeschäft läuft.
Tobias Mayr kennt die strukturellen Probleme vieler Mittelständler: „Oft sind in der IT Generalisten, die von der Infrastruktur über den Applikationsbetrieb bis zu Anpassungen alles vereinen. Hier ist es gerade in kleineren Unternehmen schwierig, Strukturen aufzubauen, die Datenobjekte sauber speichern, sodass sie wiederverwendbar sind.“
Hinzu kommt die Datenqualität: „Jede Art von Digitalisierung steht und fällt mit korrekten und vollständigen Daten“, betont Jan Stoces, Chief Growth Officer beim Consultinghaus Aimtec. „Schlechte Input-Daten führen unweigerlich zu unzuverlässigen Ergebnissen. Viele Unternehmen erkennen zunehmend, dass ihre Stammdaten nicht in der Qualität verfügbar sind, die moderne Systeme erfordern. Gleichzeitig zeigt sich: Ohne unterstützende Automatisierung wäre die Bereinigung dieser Daten nur mit erheblichem manuellem Aufwand zu stemmen.“
Gefragt sind schlanke, leicht integrierbare Systeme, die auch für mittelständische Betriebe mit schmalen IT-Abteilungen zugänglich sind: kaufmännisch, zeitlich und auch fachlich. „Smarte Systeme sind nicht smart, wenn sie nicht erklärbar sind“, warnt Thilo Jörgl, Managing Partner, Test Camp Intralogistics & impact media projects. Mögliche Lösungswege sind Vereinfachung und Standardisierung. Etwa durch niedrigschwellige Cloud-Angebote – oder durch systematisches Datenmanagement bereits bei kleinen Lieferanten.
Beim Thema Digitalisierung verweist Michael Kuhn, Head of Organization, Scherdel Group, auf die Notwendigkeit von Transparenz auf Augenhöhe: „Wenn Digitalisierung eine Einbahnstraße ist, bietet sie keinen Mehrwert. Wie die Diskussion um Catena-X gezeigt hat, muss die Datentransparenz den Interessen aller Beteiligten gerecht werden.“
3. Das Lager wird dunkel – aber nicht menschenleer
Der Mythos vom menschenleeren Lager hält sich seit den 1980er Jahren hartnäckig, aber er entspricht nicht der Realität. Zwar übernehmen fahrerlose Transportsysteme, autonome mobile Roboter und kollaborative Roboter zunehmend die unergonomische Schwerarbeit. Aber die Menschen bleiben unersetzlich – als Dirigenten, Troubleshooter und Prozessversteher.
Der Beruf des Lagermitarbeiters wird technischer, verantwortungsvoller – und potenziell attraktiver. Wer früher Paletten verladen hat, kalibriert künftig Anlagen, analysiert Störungen oder trainiert Assistenzsysteme. „Das ist echtes Job Enrichment“, sagt Tobias Mayr. Und aufgrund des demografischen Wandels und der Arbeitsmarktstruktur unvermeidbar, wie auch Csaba Malatinszki, Supply Chain General Manager, Denso Hungary, zu bedenken gibt: „Allein wegen des Arbeitskräftemangels müssen wir alles automatisieren, was möglich ist.“
Automatisierung macht die Arbeit im Lager sicherer für die Menschen. „Es gibt noch immer zahlreiche Arbeitsunfälle im Lager“, berichtet Thilo Jörgl. „Die Digitalisierung senkt das Risiko. Die Herausforderung dabei liegt im Change Management – also in der Umschulung und der Frage: Wie muss Technik gestaltet sein, damit sie verstanden wird?
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4. Cybersecurity ist eine Frage des Teamworks
Die digitale Achillesferse der Automobillogistik ist die Resilienz der IT-Infrastruktur. Kleine Zulieferer mit knapper IT rücken verstärkt ins Visier von Hackern. Die Folgen sind gravierend: Stillstand, Lieferverzögerungen, Imageverlust – in der gesamten Lieferkette. „Angesichts der wachsenden Rolle der IT-Sicherheit für unsere Kunden gehört Cybersecurity ebenso zur DNA unserer Cloudlösungen wie ihre Skalierbarkeit“, betont Jan Stoces. „Wie erfolgreich wir diesen Anspruch leben, zeigt sich unter anderem durch unseren Gewinn des Factory Innovation Award 2024 in der Kategorie ‚Resiliente Fabrik‘ – diese Auszeichnung sehen wir als Bestätigung und weiteren Ansporn.“
Lange vor der IT-Infrastruktur beginnt Cybersicherheit in der Organisation selbst, mit Fragen wie: Wer verantwortet Datenstruktur, Datensicherheit und Zugriffskontrollen? Wie sensibilisiert man das Management für Risiken, die sie kaum greifen können? Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass sich über Lieferanten und deren Systeme keine Hacker in die Firma einschleichen? Der Handlungsdruck bleibt hoch. Cybersecurity muss mitgedacht werden – by Design, nicht als Add-on. Vor diesem Hintergrund unterstützen Automobilkonzerne wie BMW kleinere Zulieferer aktiv bei der IT-Sicherheit – mit Tools, Schulungen und operativer Hilfe.
5. E-Commerce als Beispiel für Vereinfachung
Die Automobilbranche hat exzellente Prozesse – oft bis zur Perfektion durchgeplant. Doch gerade das wird zum Stolperstein, wenn neue Technologien implementiert werden sollen. Komplexität lässt sich nicht einfach digitalisieren. Sie muss vorher reduziert werden.
„Lean before digital“ lautet daher die Devise – und dafür lohnt sich ein Blick über Branchengrenzen hinweg. Wie radikale Vereinfachung aussehen kann, demonstriert der E-Commerce. Auch die Pharma- und Agrarbranche machen vor, wie man standardisiert, automatisiert und dokumentiert – so manches Mal sogar effizienter als die Automobilindustrie. Insgesamt zeigt sich: Wer digitalisieren will, braucht nicht nur Software, sondern Orientierung. Und Partner, die helfen, Kurs zu halten – gerade, wenn es auf dem Datenmeer stürmisch wird. Jürgen Frisch