Im Rahmen von Digitalisierungsprojekten setzen Unternehmen zunehmend auf die Unterstützung von externen Implementierungsexperten, oftmals direkt seitens des ausgewählten Systemanbieters. Um den Implementierungsprozess reibungslos gestalten zu können, müssen die zukünftigen Anwender und der beauftragte Anbieter ein gemeinsames, einheitliches Verständnis dafür entwickeln, wie das Projekt gemanagt werden sollte.
Die komplexen und sehr vielseitigen Herausforderungen einer ERP-Einführung werden selbst von erfahrenen Projektmanagern oftmals zu Beginn eines Projektes unterschätzt oder sogar klein geredet, um den Kunden nicht frühzeitig zu verunsichern. Insbesondere die internen Projektleiter in den Unternehmen haben aber oft einfach nicht die erforderliche Erfahrung, sind nicht ausreichend qualifiziert und haben oftmals nicht genügend Kapazität für die essentielle Aufgabe des Projektmanagements.
Vor diesem Hintergrund verlassen sich viele Unternehmen bei der Wahl der Einführungsmethode und den hierfür erforderlichen Werkzeugen und Vorlagen auf die Empfehlung des Einführungsdienstleisters. Grundsätzlich ist gegen dieses Vorgehen auch nichts einzuwenden, denn viele ERP-Anbieter vermarkten ihre Lösungen schon länger im Paket mit eigens entwickelten Einführungsmethoden, Vorlagen und Projektmanagement-Werkzeugen.
Einführungsmethode Marke ERP-Anbieter
Schon Ende der achtziger Jahre wurde von der SAP die Einführungsmethode ASAP (Accelerated SAP) vorgestellt. Dieser Implementierungsansatz beinhaltet sechs Phasen: Project Preparation, Blueprint, Realization, Final Preparation, GoLive & Support sowie Operate oder Run. Das Verfahren wurde über die Jahre hinweg immer weiter verfeinert und von vielen SAP-Systemhäusern als Rahmen für die Entwicklung einer „eigenen“ Einführungsmethode aufgegriffen. Ähnlich wie SAP haben auch andere Marktbegleiter schon Anfang der neunziger Jahre ihre Implementierungsdienstleistung mittels eigener Standardeinführungsmethodik vermarktet. Beispiele hierfür sind SureStep von Microsoft, One Point Implementation Methodology (OPIM) von Infor, goLive von proALPHA und viele mehr.
Auf den ersten Blick sind sich die Einführungsmodelle sehr ähnlich. In der Regel sind die Einführungsmethoden in fünf bis zehn Phasen unterteilt, welche jeweils bis zu zehn Unteraufgaben enthalten. Bei genauerer Analyse unterscheiden sich die Einführungsmodelle und die damit einhergehenden Leistungen jedoch erheblich. Unterschiede gibt es beispielsweise in der Qualität und im Detaillierungsgrad der erarbeiteten Konzeptdokumente. Manche erstellen auf Basis eines vordefinierten Standards lediglich ein Deltakonzept, in dem nur die Abweichungen vom Standard dokumentiert sind. Andere Anbieter wiederum erstellen Feinkonzepte, in denen alle relevanten Geschäftsprozesse mittels Ablaufdiagramm umfassend definiert und dokumentiert sind.
Das Heft in der Hand behalten
Für welche Einführungsmethode man sich auch entscheidet – als Auftraggeber sollte man darauf achten, während des gesamten Projektverlaufs das Heft in der Hand zu behalten. Bspw. sollte das Controlling des Projektes hinsichtlich Umsetzung der funktionalen Anforderungen, Überwachung des inhaltlichen Fortschritts und die Einhaltung des vereinbarten Budgets immer vom Auftraggeber durchgeführt werden. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil nicht auszuschließen ist, dass der Projektleiter des Auftragnehmers diesbezüglich in einem Interessenskonflikt steht. Im Zweifelsfall ist er eher seinem Arbeitgeber verpflichtet und lenkt das Projekt entsprechend der Zielvorgaben hin zu mehr Umsatz bzw. besserem wirtschaftlichen Ergebnis mit dem Kunden. In den Einführungsprojekten zeigt sich dies unter Umständen durch nicht realisierte Prozessunterstützung/Funktionalität, unzureichende Prozessdokumentation, mangelnde Qualität ausgelieferter Software(-einstellungen), zeitliche Verzögerung und Überschreitung von Projektbudgets.
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Hinblick auf die Wahl der richtigen Einführungsmethode ist die Anpassung des Standard-Vorgehensmodells auf die konkrete Unternehmens- und Projektsituation. In vielen Projekten geschieht dies gar nicht oder erst nachdem die Einführungsverträge unterzeichnet sind. Da jedoch die Umsetzung des vereinbarten Liefer- und Leistungsumfangs maßgeblich auch von der angewendeten Einführungsmethode, der Qualität der Projektdokumentation und der Professionalität des Projektmanagements abhängig ist, sollten diese Aspekte auf jeden Fall auch im Rahmen der Leistungsspezifikation vor Vertragsunterzeichnung mit dem Auftragnehmer abgestimmt und verbindlich vereinbart werden.
ERP-Projektleitern wird also einiges abverlangt: neben der fachlichen und methodischen Kompetenz sind auch besondere soziale und persönliche Fähigkeiten gefragt. Vor dem Hintergrund, dass dem Projektmanager eine entscheidende Verantwortung für den Erfolg oder Misserfolg eines Implementierungsprojektes zukommt, sind Anwender- und Anbieterunternehmen gleichermaßen gefragt, bei der Wahl der Projektleiter mit Bedacht vorzugehen und ihn oder sie gegebenenfalls nachzuqualifizieren. Damit am Ende der Implementierungsphase ein stabil laufendes System vorliegt, welches – ohne Bauchschmerzen auf allen Seiten – in den normalen Betrieb übergeben werden kann. Philipp Wetzchewald FIR e. V. an der RWTH Aachen, Jan Reschke, Center Integrated Business Applications und Peter Treutlein, Trovarit AG
Anzeige
RWTH-Zertifikatskurs: Project Manager Business Software
Das Center Integrated Business Applications (CIBA) aus Aachen hat in Kooperation mit der Trovarit AG den RWTH-Zertifikatskurs “Project Manager Business Software” entwickelt. Der Fokus der Lernergebnisse liegt dabei auf:
- dem Aufbau von vertiefenden Kenntnissen und der mittelstandsgerechten Vermittlung von Wissen und Methoden in den Phasen und Arbeitspaketen von Implementierungsprojekten komplexer Standard-Software,
- den Kompetenzen in der standardisierten, methodengestützten Durchführung von Implementierungsprojekten. Hierzu zählen Methoden-, Fach- und Sozialkompetenzen sowie persönliche Kompetenzen,
- dem Kennenlernen typischer Anwendungsfälle und Herausforderungen in komplexen Implementierungsprojekten sowie
- der Befähigung zur übergreifenden Anwendung des erworbenen Wissens und Aufbau von Problemlösefähigkeiten in vergleichbaren Projektszenarien.
Ziel des Kurses ist es zudem, eine direkte berufliche Verwertbarkeit sowohl für Anwender als auch für Anbieter von betrieblichen Anwendungssystemen sicherzustellen. Dazu werden die Kursinhalte nicht nur theoretisch in Vorträgen, sondern in interaktiven Methodenworkshops behandelt. Die Teilnehmer können die so geschulten Methoden unter Verwendung der im Rahmen des Kurses erhaltenen Vorlagen unmittelbar in der beruflichen Praxis anwenden.