Europäische Unternehmen haben beim Risikomanagement Nachholbedarf. Während in den 65 Prozent der US-Betriebe einen Notfallplan gegen eine Cyberattacke haben, sind es hierzulande erst 56 Prozent. Zudem verzögern fehlende Prozesse die Krisenbewältigung. Das ist das Ergebnis Studie der Unternehmensberatung FTI Consulting.

Unterschiede im Risikomanagement zwischen USA und Europa: Amerikanische Unternehmen sind im Risikomanagement vergleichsweise gut aufgestellt. Während jenseits des Atlantiks sich 70 Prozent der Befragten mit einem Notfallplan auf einen aktivistischen Investor sowie 65 Prozent auf Cyberangriffe vorbereiten, geben dies nur 53 respektive 56 Prozent der europäischen Unternehmen an. Immerhin sind auf beiden Seiten des Atlantiks nahezu drei von fünf Unternehmen auf Ausfälle in Lieferketten vorbereitet. Europa hinkt in weiteren Bereichen hinterher: Während 70 Prozent der amerikanischen Unternehmen sehr konkret auf Compliance-relevantes Fehlverhalten von Führungskräften vorbereitet sind, geben dies in Europa nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten an (56 Prozent). Für den Umgang mit geopolitischen Risiken haben 67 Prozent der US-Unternehmen Pläne entworfen, hier sind es 54 Prozent.

Die Zahlen stammen aus einer Studie des Think Tank Economist Impact, der im Auftrag von FTI Consulting die Perspektiven der wichtigsten juristischen Entscheidungsträger in Bezug auf die Art der heutigen Krisenlandschaft untersucht hat. Weitere Fragen zielten auf die Bereitschaft zum Umgang mit Krisen des Unternehmens und die Entwicklung von Rollen bei der Bewältigung solcher Ereignisse. Die Studie befragte insgesamt 600 primär juristische Entscheider in Nordamerika (25 Prozent), Europa (50 Prozent) und dem Asien-Pazifik-Raum (25 Prozent). Alle Befragten arbeiteten in Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 1 Milliarde US-Dollar.
„Unternehmen in den USA sind intensive juristische Auseinandersetzungen gewohnt“, berichtet Stefan Heissner, Senior Managing Director sowie Risk- und Forensik-Experte bei FTI Consulting. „Sie haben daher einen deutlich stärken Fokus auf den Umgang mit Risiken.“ In den USA erfolgt die Regulierung laut Heissner oft durch Gerichtsurteile, in Europa hingegen meist durch Gesetzgebung. Unabhängig von den regulatorischen Rahmenbedingungen sollten Unternehmen ein solides Risikomanagement etablieren.
Fehlende Strukturen behindern die Krisenbewältigung
Auch wenn die Mehrheit laut Studie ein Risikomanagement betreibt, liegen bei einem erheblichen Teil auch großer Unternehmen explizit keine ausreichenden Notfallpläne vor. 42 Prozent der in Europa befragten Unternehmen verfügen nach eigener Aussage über gar keine Notfallpläne für geopolitische Risiken. In den USA liegt diese Zahl bei 31 Prozent. 40 Prozent der europäischen Betriebe sind überhaupt nicht auf Cyberattacken vorbereitet (Nordamerika: 33 Prozent), 39 Prozent nicht auf Fehlverhalten von Führungskräften (Nordamerika: 29 Prozent). Eine vorbereitete Antwort auf Lieferkettenausfälle fehlt auf beiden Seiten des Atlantiks bei mehr als ein Drittel der Unternehmen.
„Ein erheblicher Teil der Unternehmen hat keine Vorbereitungen für konkrete Risiken getroffen“, berichtet Stefan Heissner. „Gibt es im Krisenfall keine vorab definierten Teams, Prozesse oder Verantwortlichkeiten, kämpfen die Betriebe mit zu langen Reaktionszeiten. Das erschwert es, die Krise in den Griff zu bekommen und das Unternehmensvermögen zu schützen.“
Unterschiede im Risikomanagement zwischen USA und Europa: Hohe Risikotoleranz ist hierzulande üblich
Die nordamerikanischen Unternehmen haben nicht nur für mehr Krisenszenarien konkrete Pläne ausgearbeitet. Sie zeigen sich auch deutlich selbstkritischer in Bezug auf ihre eigene Risikovorsorge. So sagen 41 Prozent der amerikanischen Unternehmen, dass unklare Verantwortlichkeiten im Krisenmanagement sie davon abhalten, besser auf unerwartete Ereignisse vorbereitet zu sein. In Europa erkennt dieses Problem nur jedes vierte Unternehmen (26 Prozent).
Eine fehlende klare Strategie hinsichtlich der Risikotoleranz sehen 35 Prozent der nordamerikanischen Unternehmen als Hindernis. In Europa erkennt dies ebenfalls nur etwa ein Viertel der Befragten. Während 28 Prozent der Unternehmen in Nordamerika eine fehlende Risiko-Kultur im eigenen Unternehmen bemängeln, sind es hierzulande lediglich 23 Prozent.
„US-Unternehmen sind selbstkritischer hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Krisenprävention und haben häufiger Notfallpläne vorliegen“, berichtet Heissner. „Ein Verzicht auf solche Vorbereitungen ist gefährlich. Schon einmalige Krisen können in finanzschwache Unternehmen einen erheblichen Schaden anrichten oder gar deren Existenz bedrohen. Es ist darum höchste Zeit, dass auch europäische Unternehmen konkrete Notfallpläne entwerfen.“ Jürgen Frisch