Integration war lange SAPs große Stärke. Heute verhindern die Datenmodelle, dass Unternehmen mit S/4HANA und C/4HANA Prozesse durchgängig abbilden, wie Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe DSAG, berichtet.
Jürgen Frisch: Digitalisierung lautet das Thema des Jahreskongresses. Wie gehen die DSAG-Mitglieder die Digitalisierung an?
Marco Lenck: Die Unternehmen melden Bedarf bei der Effizienzsteigerung und beim Entwickeln neuer Geschäftsmodelle. Projekte sehen wir in den Bereichen Kundenbetreuung, Sales Steuerung und Informationsmanagement. Geht es um neue Geschäftsmodelle, setzen die Unternehmen Piloten auf. Allerdings verläuft etwa die Hälfte dieser Initiativen im Sand und es wird kein Projekt daraus.
Jürgen Frisch: Wo liegen die größten Probleme?
Marco Lenck: Die Unternehmen berichten von internen Hürden wie fehlenden personellen Ressourcen, einer mangelnden Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter oder zu starren Organisationsstrukturen. Nicht genannt werden interessanterweise fehlendes Know-how und mangelnde Unterstützung durch das Topmanagement. Dort wird die Digitalisierung demnach als wichtig wahrgenommen.
Jürgen Frisch: Wie gut fühlen sich die DSAG-Mitglieder in der Digitalisierung durch SAP-Applikationen unterstützt?
Marco Lenck: Hier bremsen mehrere Sachen: die Anwender beklagen fehlende Funktionalität und eine mangelnde Qualität und Beständigkeit der Software. Stellen Unternehmen beim Prototyp fest, dass die Funktionalität einer Lösung nicht ausreicht, dann starten sie kein produktives Projekt. Der zweite Blocker ist der hohe Aufwand für die Integration. Die Stammdatenmodelle beispielsweise von C/4HANA und S/4HANA passen semantisch nicht zusammen. Diese Systeme lassen sich zwar technisch integrieren, aber sie können dennoch nicht miteinander reden, weil die Daten nicht die gleiche semantische Struktur haben. Die Entwickler müssten sehr viel Übersetzungslogik aufbauen, um einen Prozess durchgängig abzubilden.
Jürgen Frisch: Die SAP will die Integration verbessern. Die zugekauften Produkte sollen das gleiche Datenmodell nutzen wie S/4HANA. Reicht das nicht aus?
Marco Lenck: Diese Diskussion läuft seit etwa einem Jahr und die SAP arbeitet an der Harmonisierung ihrer Produkte. Viele Unternehmen brauchen aber die Lösungen schon jetzt. Aus Walldorf müssen die Ergebnisse daher schneller kommen.
Jürgen Frisch: Wie kommen denn die Unternehmen aktuell mit den Lizenzmodellen der SAP klar?
Marco Lenck: Die Unternehmen beklagen die mangelnde Flexibilität und Skalierbarkeit. Kann ein Projekt am Anfang nicht den vollen Business Case realisieren, dann will man auch nicht die vollen Kosten für die IT-Lösung bezahlen. Stattdessen wollen die Unternehmen klein und zu geringen Kosten starten, und die Gebühren müssen sich auch bei einem späteren Wachstum noch betriebswirtschaftlich rechnen. Sinkt die Nutzung, dann müssen auch die Lizenzgebühren nach unten gehen. Das verstehen wir unter einem verbrauchsorientiert atmenden Lizenzmodell.
Jürgen Frisch: Die Migration auf S/4HANA ist aus SAP-Sicht ein großer Hebel bei der Digitalisierung. Wie gehen denn die DSAG-Mitglieder diese Migration an?
Marco Lenck: S/4HANA kommt in den Unternehmen gut an. Noch in unserer Investitionsumfrage vom Jahresanfang haben 3 Prozent der Unternehmen angegeben, dass sie in diesem Jahr migrieren wollen. Die aktuelle Blitzumfrage des DSAG-Arbeitskreises S/4HANA kommt auf 8 Prozent. In den kommenden drei Jahren wollen über 50 Prozent der Unternehmen S/4HANA als führendes System einsetzen.
Jürgen Frisch: Bei der Migration unterscheidet man einen Brownfield-Ansatz, der Prozesse aus dem vorherigen System übernimmt, und einen Greenfield-Ansatz, der praktisch von Null startet. Welche Variante kommt häufiger zum Einsatz?
Marco Lenck: Unternehmen, die bereits ein zentrales ERP-System einsetzen und ihre Prozesse gut definiert haben, wählen typischerweise den Brownfield-Approach. Wer hingegen bisher mit verteilten Systemen arbeitet und diese konsolidieren und neue Prozesse aufbauen will oder muss, der nimmt sich die Zeit für eine Greenfield-Migration. Diese dauert länger, weil sie mit Business Reenginering startet. Zudem wird dabei das System schrittweise implementiert.
Jürgen Frisch: Gibt es genügend Erfolgsbeispiele für den Erfahrungsaustausch?
Marco Lenck: Ja. Wir finden inzwischen sowohl für Greenfield- als auch für Brownfield-Szenarien Leuchtturm-Projekte, mit denen sich die Unternehmen Anregungen für ihre Migration holen können.
Jürgen Frisch: Für Themen wie das Internet der Dinge oder künstliche Intelligenz empfiehlt die SAP eine Zwei-Schicht-Architektur. Die ERP-Kernsysteme laufen inhouse und die innovativen Applikationen in der SAP Leonardo Cloud. Wie kommt das an?
Marco Lenck: Um SAP Leonardo als Begriff ist es relativ ruhig geworden. Inzwischen spricht die SAP eher von der SAP Cloud Plattform, auf der dann Applikationen beispielsweise für das Internet der Dinge laufen. Die Unternehmen erweitern ihre inhouse laufenden Kernsysteme um vorgefertigte Bausteine und um Eigenentwicklungen. Die SAP Cloud Plattform nutzen sie typischerweise für SAP-Bausteine. Bei Eigenentwicklungen oder für Partnerlösungen kommen hingegen auch Microsoft Azure oder Amazon Web Services zum Einsatz.
Jürgen Frisch: Nutzen Unternehmen auch mehrere dieser Plattformen parallel?
Marco Lenck: Ja. Es geht ja hier stets um Web-Anwendungen, und die zeichnen sich dadurch aus, dass man Bausteine aus mehreren Plattformen koppeln kann.
Jürgen Frisch: Verschärft sich dann nicht das Integrationsproblem?
Marco Lenck: Nicht unbedingt. Für eine solche Koppelung sind gekapselte Services erforderlich, zudem brauche ich eine klare Definition, welche Daten wo liegen. Über einen Stammdatenservice auf der SAP Cloud Plattform lassen sich nicht nur SAP-Applikationen koppeln, sondern auch die Applikationen anderer Hersteller oder Eigenentwicklungen, die auf anderen Plattformen laufen.
Jürgen Frisch: Steigt beim Einsatz mehrerer Web-Plattformen nicht die Latenz?
Marco Lenck: Das ist kein Problem. Es geht hier um Web-Lösungen, die keine Echtzeit-Prozesse bedienen. Die Services müssen sich miteinander unterhalten, und das funktioniert auch dann, wenn sie auf verschiedenen Plattformen laufen. Dabei steigt allerdings die Komplexität, und daher gehen Unternehmen diesen Schritt nur, wenn er ihnen Vorteile bringt.
Jürgen Frisch: Ist eine Migration auf S/4HANA die Voraussetzung für den Einsatz von SAP Leonardo oder kann man auch mit SAP ERP die ersten Digitalisierungsschritte gehen?
Marco Lenck: Prinzipiell kann ich Leonardo-Applikationen auch mit einem älteren SAP-System nutzen. Ich habe dann allerdings keine leistungsfähige In-Memory-Datenbank. Will ich große Datenmengen auswerten, stoße ich schnell an Grenzen. Das spricht dann für S/4HANA: Will ich allerdings in einem Workflow den Rechnungseingang über die Erkennung auf Basis Künstlicher Intelligenz automatisieren, ist das auch mit SAP ERP problemlos möglich.
Jürgen Frisch: Cloud ist in der Digitalisierung ein ganz großes Thema. Welche Schwierigkeiten treten hier auf?
Marco Lenck: Für Sales-Management-Prozesse und Compliance-Applikationen hat sich die Cloud durchgesetzt. Aber nicht alle Applikationen sollen dorthin. Der Prozess für das Ermitteln der Verbrauchssteuern beispielsweise ist in den Unternehmen logistisch sehr eng integriert, denn er basiert auf Informationen über die Zusammensetzung von Produkten und nutzt Informationen aus dem Sales und aus der gesamten Supply Chain. Viele IT-Architekten würden das gerne inhouse abbilden, aber die SAP hat dafür ein Cloud-Modul geliefert. Mögliche Showstopper für die Cloud sind Datenschutz und Datensicherheit. Müssen Daten absolut vertraulich bleiben oder geht es um personenbezogene Informationen, dann sollte man die nicht in jeder beliebigen Plattform ablegen.
Jürgen Frisch: Was machen Unternehmen, die ihre Daten nicht in die Cloud geben wollen oder dürfen?
Marco Lenck: Das ist schwierig, denn für manche Prozesse kommt man heute kaum noch an der Cloud vorbei. Möglicherweise gibt es in Zukunft Möglichkeiten, die Cloud mit Virtualisierungstechnologie im eigenen Rechenzentrum einzusperren. Das sind dann aber Anwendungsfälle, die sich eher für Großunternehmen eignen, denn sie erfordern einen sehr hohen Aufwand, wenn die Skalierung passen soll.
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Jürgen Frisch im Gespräch mit
Marco Lenck, von 2008 bis 2012 – Technologievorstand – und seit September 2012 – Vorstandsvorsitzender der DSAG.