Ein Phänomen, das in den letzten Jahren zu beobachten ist: Die ERP-Systeme werden immer leistungsfähiger und kämpfen um einen festen Platz in der Produktion. Kann ein integriertes ERP-System die Aufgaben eines MES ebenso gut erfüllen?
ERP-Lösungen unterstützen die Kundenauftragsabwicklung. Sie stellen eine integrierte Abwicklung der Material-, Informations- und Finanzflüsse sicher und bilden die Prozesse der gesamten Auftragsabwicklung inkl. der Produktion ab. Demgegenüber konzentrieren sich MES-Lösungen auf die Produktion und betrachten i.d.R. nur die Material- und Informationsflüsse. Sie bilden das zentrale Informationsrückgrat für die detaillierte Planung, Steuerung und Überwachung der Produktionsprozesse.
Als solches eignen sie sich besonders für ein systematisches Management der logistischen und technischen Detailprozesse in der Produktion. Die kontrovers diskutierte Verdrängung der MES-Lösungen „von oben nach unten“ (durch integrierte ERP-Lösungen) erscheint aus mehreren Aspekten unwahrscheinlich:
1. MES sind nach den spezifischen Anforderungen der Produktion ausgerichtet.
Die Produktionsanforderungen an eine ME-Software sind im Vergleich zu der deutlich einheitlicheren ERP-Ebene viel heterogener: Das liegt vor allem an den sehr unterschiedlichen Markt- und Technologiebedingungen einer Produktion. So entstehen Nischen für viele MES-Anbieter und erschweren eine unternehmens- oder branchenübergreifende Standardisierung.
2. MES-Software lässt sich im Vergleich zu ERP schneller und kostengünstiger einführen.
Viele MES-Anbieter sind etabliert, ihr Nischenfokus entspricht im Grunde einer auf ähnliche Produktionen vorkonfigurierten Software. Der daraus resultierende Vorteil ist die schnelle Implementierung, die dazu noch kostengünstig ist. Dies ist bei einer ERP-Lösung in der Regel nicht der Fall – sie zeichnet sich durch eine kostenintensivere und im Vergleich dazu anspruchsvollere Implementierung aus. Das liegt vor allem an der Notwendigkeit einer durchgängigen Integration über alle Auftragsabwicklungsprozesse und des daraus folgenden Customizing-Aufwandes an der Software.
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3. MES-Markt funktioniert anders als der ERP-Markt.
- Der ERP-Markt ist vergleichsweise homogen: Wenige Anbieter mit ähnlichem, meist breitem Funktionsumfang sehen sich im Wesentlichen den IT-Leitern oder kaufmännischen Leitern gegenüber.
- Der MES-Markt wiederum ist heterogen: Viele Anbieter mit unterschiedlichen, meist spezialisierten Funktionsumfängen sind mit den Experten aus den Fachbereichen konfrontiert. Wie erwähnt, verstärken die technologisch und logistisch sehr unterschiedlichen Produktionsanforderungen dies noch.
Grundsätzlich gilt: Die Auftragsabwicklung Kunde – Kunde bestimmt die Anforderungen und Rahmenbedingungen der Produktionsabwicklung (Produktionsauftragseinplanung bis -abschluss). Während bei einer Lagerfertigung beide Prozesse weitgehend entkoppelt laufen, sind die bei einer Auftragsfertigung eng miteinander vernetzt. Die industrielle Praxis trennt deshalb üblicherweise diese beiden Betrachtungsebenen, die sich auch hinsichtlich ihrer Merkmale und Aufgaben unterscheiden (s. Bild).
Nun birgt ein Zusammenwachsen dieser Ebenen für die Anwenderunternehmen vor allem dann Vorteile, wenn auch die jeweiligen Aufgaben integriert – und konsequenterweise auch in einer Software – bearbeitet werden.
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Über alle Aufgaben ist das sowohl aufgrund der klaren Aufgabenteilung im Unternehmen als auch wegen der fachlich völlig unterschiedlichen Anforderungen aktuell nicht zu erwarten. Viele Unternehmen konzentrieren ihre Integrationsbemühungen auf ihre erfolgskritischen Aufgaben; sie gehen also eher einen individuellen Weg und hoffen weniger auf allgemeingültige Lösungen. Auch ein allgemeiner, wirkungsvoller Trend in Richtung Standardisierung ist derzeit nicht erkennbar, zumal die im Kontext von Industrie 4.0 diskutierten Lösungsansätze hier eine höhere IT-Anpassbarkeit für die Anwender erwarten lassen.
Über den Autor
Dr.-Ing. habil. Hans-Hermann Wiendahl leitet am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA die Gruppe Produktionsplanung und -steuerung. Er ist Fachmann zu den Themen der industriellen Auftragsabwicklung, der Planung und Steuerung und der hierfür erforderlichen ERP- und MES-Software sowie Autor vieler nationaler und internationaler Veröffentlichungen, u.a. des Aachener Marktspiegels Business Software „MES/Fertigungssteuerung“, der alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit Trovarit AG erscheint.