65 Prozent der deutschen Unternehmen setzen laut einer Studie von Deloitte bei Künstlicher Intelligenz auf fertige Bausteine. Process Robotics kommt hierzulande so oft zum Einsatz wie in keinem Vergleichsmarkt.
Künstliche Intelligenz ist ein spannendes Entwicklungsfeld unserer Zeit. In Deutschland scheint das Thema allerdings oft von Angst geprägt. Ging es noch vor wenigen paar Monaten darum, dass diese Technologie massenhaft Arbeitsplätze vernichtet, fürchten die Experten nun, den Anschluss an Länder wie China oder die USA verloren zu haben.
Um die Fakten zum Thema Künstliche Intelligenz am Wirtschaftsstandort Deutschland zu finden, hat Deloitte für die Studie „State of AI in the Enterprise Survey“ weltweit Verantwortliche befragt, darunter auch 100 Entscheider aus deutschen Unternehmen. Die gute Nachricht vorweg: Deutsche Firmen beschäftigen sich mit Künstlicher Intelligenz und sind bei gewissen KI-Technologien im internationalen Vergleich vorne mit dabei.
Fünf Schlüsselergebnisse hat die Deloitte-Studie, die im Überblick gezeigt werden sollen:
1. Intelligente Technologien mit einer Extraportion Process Robotics
„Erfreulicherweise gibt es bei der Anwendung von Technologien der Künstlichen Intelligenz in deutschen Unternehmen keine generellen Lücken“, berichtet Milan Sallaba, Partner und Technology Sector Lead bei Deloitte. Alle Varianten dieser Technologie kommen zum Einsatz, auffällig ist die starke Verbreitung von Process Robotics. 67 Prozent der befragten deutschen Unternehmen nutzen robotergesteuerte Prozessautomatisierung. In den internationalen Vergleichsmärkten USA, China, UK, Frankreich, Kanada und Australien setzen derzeit lediglich 49 Prozent diese Technologie ein. Bei keiner anderen Variante der Künstlichen Intelligenz weichen deutsche Unternehmen so stark vom internationalen Durchschnitt ab.
2. Intelligente Strategien: Die großen Visionen fehlen noch
Aufholbedarf im internationalen Vergleich gibt es allerdings beim Thema Strategie. So verfügt erst ein Viertel (26 Prozent) der befragten Unternehmen über eine umfassende, unternehmensweite Strategie für Künstliche Intelligenz. In allen sechs Vergleichsmärkten ist man bereits weiter: Im Durchschnitt haben dort bereits 35 Prozent der Unternehmen eine übergreifende Strategie.
Zum Einsatz kommt Künstliche Intelligenz hierzulande überwiegend auf Abteilungsebene. Will Deutschland nicht als Anwendungsmarkt abgehängt werden, gilt es laut Deloitte, diese Lücke schnell zu schließen. Schließlich verlagere sich die Entwicklung Künstlicher Intelligenz derzeit von der Implementierung einzelner Anwendungen hin zu einem umfassenden Einsatz der Technologie in der gesamten Wertschöpfungskette. Dazu wiederum brauche es umfassende Strategien.
3. Herausforderungen und Risiken: Eine Frage des Vertrauens
Die Zurückhaltung bei der Entwicklung übergreifender Strategien zum Einsatz Künstlicher Intelligenz ist laut Deloitte auf das noch immer ausbaufähige Vertrauen deutscher Unternehmen in diese Technologie zurückzuführen. Intern würden entsprechende Initiativen häufig eher mit Sorge begleitet. Die Angst, falsche Entscheidungen zu treffen, sei verhältnismäßig groß. 46 Prozent der deutschen Unternehmen äußern in der Studie entsprechende Bedenken. Unsicherheit herrscht beim Thema Cyber-Sicherheit. Hier fürchten deutsche Unternehmen den Diebstahl sensibler Daten und Algorithmen.
4. Kenntnisse und Fähigkeiten: Fachkräftemangel als Bremse
Die größte Herausforderung für die Unternehmen ist aktuell der Mensch. Es fehlen die Fachkräfte, die sich mit Künstlicher Intelligenz auskennen. 62 Prozent der Befragten beklagen fehlende Kompetenzen, mehr als jedes fünfte Unternehmen spricht sogar von großen Schwächen in diesem Bereich. Bemerkenswert ist, dass sich der Mangel nicht ausschließlich auf IT- und Technik-Spezialisten erstreckt. Viele Unternehmen suchen händeringend nach Change-Managern, die die digitale Transformation im Unternehmen organisieren und behutsam umsetzen.
5. Implementierung: Nicht immer das Rad neu erfinden
Ein Mittel im Kampf gegen den Fachkräftemangel erfreut sich bei deutschen Unternehmen bereits großer Beliebtheit und prägt damit die Implementierung von Künstlicher Intelligenz: „Artificial Intelligence as service“ oder salopp gesagt: „Künstliche Intelligenz in Lösungen von der Stange“. Lediglich 15 der befragten Unternehmen implementieren diese Technologie hauptsächlich mit hauseigenen Kräften.
Stattdessen setzen 65 Prozent der Studienteilnehmer auf fertige Bausteine für die eigenen Produkte und Dienstleistungen. In den internationalen Vergleichsmärkten nutzen lediglich 49 Prozent diese Möglichkeit. Die Offenheit deutscher Unternehmen ist potenziell vorteilhaft, denn cloud-basierte „off the shelf“-Lösungen versprechen einen schnellen und relativ kostengünstigen Zugang zu intelligenten Produkten, Services und Geschäftsmodellen. Für die Verbreitung und nicht zuletzt die Demokratisierung von Künstlicher Intelligenz sind diese fertigen Lösungen laut Deloitte essenziell. So könnten auch kleinere Unternehmen mit dieser Technologie arbeiten können, die weder den Anspruch noch die Ressourcen haben, Lösungen von der Pike auf selbst für die eigenen Zwecke zu entwickeln.
Künstliche Intelligenz ganzheitlich denken
„Laut unserer Studie ist Deutschland beim Thema Künstliche Intelligenz keineswegs abgehängt“, bilanziert Sallaba. „Führende deutsche Unternehmen haben längst den Mehrwert dieser Technologie für die eigenen Produkte und Dienstleistungen, aber auch für interne Abläufe erkannt und sind die ersten Schritte erfolgreich gegangen.“ Jetzt gehe es darum, Künstliche Intelligenz ganzheitlich zu denken und die Strategielücke zu schließen. Schließlich werde diese Technologie nicht nur einzelne Bereiche, sondern ganze Wertschöpfungsketten verändern.
„Statt hier wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht zu verharren, sollten wir diese Veränderungen aktiv mitgestalten“, fordert Sallaba. „Unternehmen kommt hier eine Vorreiterrolle zu – sie haben die Ressourcen und sind aufgerufen, ihre Mitarbeiter entsprechend weiterzubilden und Lösungen zu entwickeln, die Ängste und Befürchtungen ernst nehmen und ihnen ein positives Ergebnis entgegenstellen.“ Jürgen Frisch