Mit Agentic AI verliert Künstliche Intelligenz nach und nach ihren Werkzeugcharakter und arbeitet eigenständig. Trotz des Hypes darf man keine Wunder erwarten. IT-Agenten brauchen gut gepflegte Daten, die sie aus eng integrierten Systemen beziehen.

Varianten-Check: Wie weit Agentic AI heute bereits entwickelt ist, lässt sich an ihren unterschiedlichen Ausprägungen erkennen. Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal ist dabei der Grad der Autonomie:
- Agent AI beschreibt spezialisierte, sprachgesteuerte Künstliche Intelligenzen, die auf bestimmte Themenbereiche fokussiert sind. Diese Systeme arbeiten in der Regel regelbasiert und benötigen menschliche Unterstützung sowie Kontrolle – sie agieren also nicht vollständig selbstständig.
- In einer Multi-Agent-AI-Umgebung sind mehrere KI-Agenten miteinander vernetzt und übernehmen jeweils bestimmte Teilfunktionen. Ein übergeordneter „Orchestrator-Agent“ koordiniert, überwacht und steuert dabei die Zusammenarbeit dieser Teilagenten. Obwohl dieses System teilautonom funktioniert, kann der Mensch weiterhin eingreifen und die Prozesse beeinflussen
- Die höchste Stufe bildet die vollständig autonome Agentic AI. Hier kommunizieren die Agenten selbstständig mit anderen Lösungen wie ERP-Systemen (Enterprise Ressource Planning) oder CRM-Anwendungen (Customer Relationship Management). Entscheidungsfindung und Ausführung erfolgen in dieser Konfiguration vollkommen autonom – ohne menschliche Beteiligung.
In dieser Entwicklung zeigt sich eine deutliche Tendenz, Agentensysteme nach und nach selbstständiger zu machen. Der Grund dafür ergibt sich aus der Zielsetzung. Wieder einmal geht es um schnellere Entscheidungsfindung, Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen. Je höher der Grad der Automatisierung ist, desto größer die Annäherung an diese Ziele. Daher geht die Tendenz eindeutig hin zu autonomen Systemen.
Gut gepflegte und vernetzte Daten
Die mit Agentic AI verbundenen Aussichten auf Automatisierung und Effizienzgewinne verführen leicht dazu, Wunderdinge zu erwarten. Umso mehr ist es ratsam, nicht in die Euphoriefalle zu tappen. Denn auch vor das KI-Wunder haben die Agenten einige Hürden aufgebaut. Ein typischer Spielverderber ist beispielsweise die vorhandene Infrastruktur, samt der darin eingebetteten Legacy-Systeme und Schnittstellen. Agentic AI kann nur dann effektiv arbeiten, wenn die Systeme eng miteinander integriert sind. Nur dann können die Agenten die für sie relevanten Informationen aus anderen Systemen herauslesen, evaluieren, analysieren und verstehen. Ebenso wichtig ist die Datenbasis. Ein quantitativ ausreichender und qualitativ hochwertiger Daten-Pool ist für Agentic AI mit ihre generativen Sprachmodelle unverzichtbar. Hier müssen Unternehmen die entsprechende Vorarbeit leisten, bevor die Agenten loslegen können.
Anzeige | Fachartikel des Competence Center Datenmanagement
|
|
Neben den technischen Aspekten stellen sich auch Fragen rechtlich-ethischer Dimension hinsichtlich Governance und Haftung. Schließlich dürfen die Unternehmen trotz der zahlreichen Vorteile von Agentic AI die potenziellen Risiken nicht außer Acht lassen und müssen entsprechende Sicherheitsmaßnahmen implementieren. Sie betreffen zum Beispiel die Verantwortlichkeit. Es muss geklärt sein, wer bei der Nutzung des Servicemodells eines externen Anbieters die Haftung übernimmt, wenn etwas schiefläuft. Auch die Fragen nach Erklärbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Manipulierbarkeit sind wichtige Themen. Agentic AI muss Anwendern die Gründe aufzeigen, die zu einer Entscheidung geführt haben. Nur so kann der Mensch in einer autonomen Umgebung noch die Kontrolle behalten. All das muss im Detail dokumentiert werden und auditierbar sein.
Iteratives Vorgehen vermeidet Enttäuschungen
Eine derart tiefgreifende Transformation kann nur Schritt für Schritt erfolgen. Es ist unmöglich, alle Systeme gleichzeitig Agentic-AI-fähig zu machen. Unternehmen sollten daher zum Start Business Cases wählen, in denen sich ein schneller Mehrwert realisieren lässt. In der Logistik etwa befindet sich das Produktinformationsmanagement erfahrungsgemäß auf einem Stand, der eine gute Basis für die Kommunikationsfähigkeit liefert. Mit Agentic AI lassen sich hier beispielsweise durch systemübergreifende Verbindungen Lagerbewegungen, Lieferketten oder die Routenplanung auch unter Einbeziehung von Dienstleistern autonom koordinieren und optimieren. Im Versicherungswesen hilft Künstliche Intelligenz beim Aufdecken von Betrugsfällen, indem sie beispielsweise erkennt, wenn Bilder von Schadensfällen nachbearbeitet wurden. Mit Agentic AI lässt sich dann der gesamten Prozess von der Schadensmeldung bis zur Auszahlung oder Ablehnung des Anspruchs automatisieren. In der Telekommunikationsbranche kann Agentic AI Kundenanfragen automatisiert verstehen, priorisieren und an die richtigen Stellen weiterleiten.
Spätestens seit den James-Bond-Filmen umweht Agenten der Duft von Erfolg und Unbesiegbarkeit. Dieses Bild ist jedoch weit von der Realität entfernt. Agenten haben einen harten Job, für den sie intensiv geschult und vorbereitet werden, und über den sie Rechenschaft ablegen müssen. Diese Voraussetzungen müssen Unternehmen auch für intelligente IT-Systeme schaffen. Nur wenn das Ergebnis überzeugt und wie aus einem Guss aussieht, haben nicht nur die Agenten, sondern auch ihre Auftraggeber ganze Arbeit abgeliefert. jf
Der Autor

Niklas Bläsing ist Director Consulting und Head of Data & AI beim Consulting-Haus CGI in Deutschland.