Start Branchen 7 Digitalisierungsstrategien für die Medizinbranche

7 Digitalisierungsstrategien für die Medizinbranche

Hohe Kosten, strenge Regulatorik und komplexe Lieferketten – die Herausforderungen der Medizinbranche sind groß. Abhilfe schaffen digitalisierte Prozesse und eine straffe Produktionssteuerung. Übergreifend integrierte IT-Systeme bilden die Basis dafür.

medizintechnik
Quelle: wacomka | istock.com

Die Gesundheitswirtschaft steht hierzulande unter Druck. Während der Medizintechniksektor – laut dem Bundesverband Medizintechnik e.V. – mit 490,2 Milliarden Euro im Jahr 2024 rund 12,5 Prozent der Bruttowertschöpfung der Gesamtwirtschaft erzielte, nehmen die Herausforderungen stetig zu. Unternehmen sehen sich mit steigenden Kosten, zunehmender internationaler Konkurrenz und einer Flut an Regularien konfrontiert.

Die folgenden sieben Strategien zeigen, wie Medizintechnik-Hersteller den wachsenden Herausforderungen aktiv begegnen und durch den Einsatz moderner Technologien bislang ungenutzte Potenziale heben.

1. Rentabilität steigern – durch Prozessdigitalisierung und Dokumentenmanagement

Viele Unternehmen richten ihre strategischen Ziele neu aus – weg vom Umsatzwachstum, hin zur Steigerung der Profitabilität. Schnell realisierbare Effizienzgewinne entstehen etwa durch die Digitalisierung papiergebundener Prozesse wie Arbeitspläne, Dokumentationen oder Freigaben.

Der Schlüssel hierfür ist ein zentrales Dokumenten-Management-System (DMS), das als ‚Single Source of Truth‘ für alle relevanten Dokumente und elektronischen Aufzeichnungen dient. Besonders in der stark regulierten Medizintechnik ist es wichtig, dass das DMS-System Funktionen zur Versionierung, Protokollierung (Audit Trail) und Zugriffssteuerung bietet. Ein exaktes Rollen- und Rechtemanagement sowie digitale Signaturen stellen dabei sicher, dass nur autorisierte Mitarbeiter Dokumente erstellen, ändern oder freigeben können. Ziel ist das langfristige, revisionssichere Archivieren aller prozess- und produktbezogenen Daten – etwa in Form einer zentralen digitalen Produktakte.


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ECM/DMS als strategischer Partner der Digitalisierung
Vom linearen Prozess zum fortwährenden Kreislauf

19.09.2025
11:00 - 11:45 Uhr

Thema: Strategie, ECM, Dokumentenmanagement, Digitalisierung
Referent: Marc Müller, Trovarit AG
Im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung oder Business Transformation gewinnt auch das Thema ECM/DMS immer mehr an strategischer Bedeutung. Denn oftmals reichen vorhandene Architekturen und Lösungen nicht aus, um erforderliche unternehmensweite Informations- und Geschäftsprozess-Services digital zur Verfügung zu stellen. Somit ist ECM/DMS ein Thema, welches sämtliche Abteilungen vom Vertrieb und Service über die Produktion und Logistik bis hin zum Rechnungswesen anspricht. Aus einem bislang oftmals - meist durch organisatorische Grenzen bedingt - linearen Prozess entsteht ein fortwährender Kreislauf aus z.B. Entwickeln, Produzieren, Akquirieren, Verkaufen und Betreuen. ECM/DMS hat somit den Anspruch Menschen, Prozesse und Informationen unternehmensweit zu synchronisieren, um so erkenntnisorientiertes Handeln und Denken zu ermöglichen. Unter dieser Voraussetzung ist auch eine Einführung einer entsprechenden Lösung sehr individuell zu betrachten und birgt somit auch seine unternehmenseigenen Herausforderungen.
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2. Regulatorik meistern – mit integriertem Qualitäts- und Risikomanagement

Hersteller von Medizinprodukten bewegen sich in einem hochkomplexen und regulierten Umfeld. Anforderungen wie ISO-Normen, die Good Manufacturing Practice (GMP), die Medical Device Regulation (MDR) und Vorschriften der Food and Drug Administration (FDA) regeln in der Medizintechnik wichtige Aspekte wie Qualitätseinhaltung, Produktsicherheit und -zulassung sowie den Umgang mit elektronischen Aufzeichnungen.

Um diese Regulierungsflut zu bewältigen, bedarf es eines leistungsstarken Qualitäts- und Risikomanagements – idealerweise integriert in das ERP-System (Enterprise Resource Planning). Dieses ermöglicht es Fachverantwortlichen, Zusammenhänge zwischen Lieferanten, Produkten und Kunden transparent nachzuvollziehen. Die dazugehörigen Daten werden über Workflows gesteuert und im Dokumentenmanagement-System revisionssicher gespeichert und archiviert. Die durchgängige Rückverfolgbarkeit von Seriennummern und Chargen erlaubt im Ernstfall die gezielte Kundenansprache und das schnelle Ergreifen notwendiger Maßnahmen – dies ist essenziell für die EN ISO 13485:2016-Zertifizierung sowie auch im Falle behördlicher Anfragen.

3. Export ausbauen – mit zentralem Zulassungsmanagement

Das größte Wachstumspotenzial der Medizintechnik-Branche liegt im Export. Jedes Land stellt allerdings seine eigenen regulatorischen Anforderungen. Oft dürfen Medizinprodukte ohne eine entsprechende Registrierung oder Zulassung gar nicht verkauft werden. Ein strukturiertes, digital verwaltetes Regelwerk für sämtliche Registrierungen und staatliche Zulassungen schafft hier Transparenz, damit Abteilungen den Überblick über relevante Eckdaten zu Freigaben, Sperren, Gültigkeiten oder Ablauffristen nicht verlieren. Automatisierte Prüfmechanismen verhindern darüber hinaus, dass Produkte in ein Land ausgeliefert werden, für das sie nicht konform sind.

Auch ein Unique Device Identifier (UDI) erleichtert den Zugang zu internationalen Märkten. Diese einheitliche, maschinell lesbare Kennzeichnung ist international anerkannt und fördert die Effizienz im weltweiten Handel von Medizinprodukten, indem sie Zollabfertigungen sowie die Kommunikation zwischen Herstellern, Händlern und Behörden über Ländergrenzen hinweg vereinfacht. Darüber hinaus sind mit dieser ID auch sämtliche Daten und Dokumente verknüpft, die etwa Produkteigenschaften und Herstellerinformationen eines Medizinprodukts beschreiben. Die Weitergabe dieser Informationen an die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED) oder die globale Datenbank der FDA (GUDID) findet mit der richtigen Lösung automatisiert statt. Den entscheidenden Produktivitätshebel stellt bei modernen ERP-Lösungen jedoch die automatische Prüfung jedes Belegs gegen das hinterlegte Regelwerk dar. So lässt sich die Compliance automatisiert frühzeitig im Prozess sicherstellen.

4. Lieferketten stärken – durch Risikomanagement und digitale Zusammenarbeit

Engpässe bei Halbleitern, Kunststoffen oder Metallen zeigen die Abhängigkeit der Medizintechnikbranche von globalen Lieferketten. Die Einbindung alternativer oder weiterer Lieferanten ist jedoch aufwändig, da umfangreiche Zertifizierungsprozesse nötig sind, die zusätzliche Kosten verursachen. Eine gezielte Bewertung und Risikoabschätzung jedes Lieferanten hilft dabei, die Gefahr von Verzögerungen, Lieferausfällen oder Kostensteigerungen bereits im Vorfeld zu minimieren. Source-to-Pay-Plattformen unterstützen Einkaufsteams bei der Lieferantenevaluierung und dem Onboarding neuer Verkäufer. Digitale Plattformen für die Supply Chain Collaboration ermöglichen zudem den direkten Austausch und die transparente Nachverfolgung vereinbarter Maßnahmen.

5. IT-Systeme vernetzen – für durchgängige Prozesse und hohe Datenqualität

Viele Medizintechnikunternehmen nutzen eine Vielzahl spezialisierter IT-Systeme, etwa für ERP, Produktionssteuerung (MES), Qualitätsmanagement (CAQ), Zeiterfassung (PZE) oder Betriebsdatenerfassung (BDE). Oft handelt es sich um Insellösungen, die über die Jahre hinweg durch individuelle Schnittstellen verbunden wurden. Das Ergebnis ist ein schwer durchschaubares, fehleranfälliges IT-Geflecht.

Eine unternehmensweite Systemintegration schafft hier Abhilfe: Sie reduziert den Pflegeaufwand, erhöht die Datenqualität und senkt das Risiko redundanter oder inkonsistenter Informationen. Unternehmen profitieren von einer einheitlichen Datenbasis für automatisierte Abläufe und fundierte Entscheidungen. Die Integration von Einzelsystemen und die zentrale Vernetzung von IT-Systemen, Maschinen und Standorten kann über einen Enterprise Service Bus umgesetzt werden, der von ERP über Qualitätssicherung bis Produktionsplanung die wichtigsten Bereiche der Wertschöpfung abdeckt und zusätzliche Anwendungen flexibel einbinden kann.

6. Validierung vereinfachen – mit standardisierten Verfahren

Das Validieren eingesetzter Software ist für Medizintechnikunternehmen verpflichtend und stellt sicher, dass Systeme regulatorische Anforderungen erfüllen und im konkreten Unternehmenskontext sicher genutzt werden können. Dabei gilt: Je mehr Software-Komponenten aus einer Hand bezogen werden, desto einfacher gestaltet sich die Validierung – denn weniger Schnittstellen bedeuten weniger Komplexität.

Eine standardisierte Software, die nach anerkannten Qualitätsstandards entwickelt wurde, reduziert bereits das Risiko erheblich. Die Validierung geht jedoch über die rein technische Prüfung hinaus: Sie berücksichtigt, wie die Software in den unternehmensinternen Prozessen eingesetzt wird. Ein Validierungsplan definiert die Risikostrategie und die Methodik. Testpläne und Testfälle werden risikobasiert und entsprechend dem Unternehmenskontext gestaltet. Hierfür dienen branchenspezifische Templates und Best-Practice-Vorlagen als Grundlage.

7. Personalisierung mit digital gesteuerter Variantenfertigung

Die personalisierte Medizin gewinnt gerade an Bedeutung. Erste innovative Produktbeispiele sind individuell angepasste Katheter, Implantate oder Orthesen. Für Hersteller bedeutet das jedoch, dass sie in der Lage sein müssen, kundenindividuelle Produkte schnell und wirtschaftlich fertigen zu können – idealerweise in Losgröße 1 und ohne lange Lieferzeiten. Eine digital gesteuerte Variantenfertigung ermöglicht es, Standardprodukte flexibel zu konfigurieren und selbst individuelle Geräte innerhalb weniger Wochen auszuliefern. Zukunftsweisend ist auch der Einsatz digitaler Zwillinge. Sie bilden medizinische Geräte oder biologische Prozesse virtuell ab und ermöglichen Simulationen, die Diagnostik und Therapie personalisierbar machen. In der Kombination leisten digitale Technologien einen wichtigen Beitrag zur Forschung, Entwicklung und Umsetzung individueller Behandlungsansätze. jf


Der Autor

Medizintechnik
Quelle: ProAlpha

Pascal Gaißert ist Sales Consultant beim Standardsoftwerker ProAlpha und Experte für MedTec.