Die Virus-Flaute legt Schwächen in der Digitalisierung offen. Die SAP-Anwendervereinigung DSAG erwartet verschobene S/4HANA-Projekte und rät Mitgliedern dazu, ihre Anstrengungen zur Transformation zu steigern.

Die Corona-Krise zeigt die Defizite vieler Unternehmen bei der Digitalisierung auf. Es bestätigen sich die Ergebnisse des Investitionsreports 2020 der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG), wonach 63 Prozent der Mitglieder ihr Unternehmen bei der Digitalen Transformation als „nicht sehr weit“ einschätzen. Rein technologisch könnten viele Unternehmen bereits einen hohen Digitalisierungsgrad erreicht haben. Allerdings zeige sich in der aktuellen Krise, wie unflexibel sie sind, wenn es beispielsweise um Zahlungsverfolgung, Lieferströme oder die Anpassung der Produktion an die neuen Bedingungen geht.

Nur Prozesse digitalisieren reicht nicht

Der mangelnde Erfolg der bisherigen Digitalisierungsprojekte rührt aus Sicht der SAP-Benutzervereinigung DSAG daher, dass viele Unternehmen lediglich die Prozesse optimiert haben, aber die Geschäftsmodelle gleichgeblieben sind. „Wenn Unternehmen sich zu viel Zeit für die Digitalisierung lassen, können sie sich nicht schnell genug anpassen“, erläutert der DSAG-Vorstandsvorsitzende Marco Lenck. Eine mögliche Folge sind stockende Zahlungs- und Warenströme und Probleme mit den Kunden. Aus DSAG-Sicht sind das die Folgen kurzfristiger Bestrebungen zur Gewinnmaximierung, eingefahrener Marktkanäle und fehlender Markttransparenz. „Die Welt der Echtzeitprozesse hat sich verändert“, erläutert der stellvertretender DSAG-Vorstandsvorsitzende Otto Schell. „Es genügt nicht mehr, das eigene Angebot zu optimieren. Vielmehr gewinnen intelligente Netzwerke aus Lieferanten und Partnern sowie übergreifende Prozessabläufe und gemeinsame Datennutzung an Bedeutung“. Im Vorteil seien daher jetzt Unternehmen, die sich bereits frühzeitig mit Netzwerken beschäftigt haben. „Digitale Prozesse und Geschäftsmodelle sind effizienter und sie bilden zudem die Basis für den Erfolg in sich wandelnden Märkten.“

Corona bremst S/4HANA kurzfristig aus

Bei den Projekten zur Implementierung von S/4HANA rechnet die DSAG mit Verschiebungen und Abbrüchen. Schließlich könnten die Projektmitarbeiter von Kurzarbeit oder anderen internen Maßnahmen betroffen sein. „Einige Unternehmen schieben in solchen Situationen Zahlungsziele und Projekttermine auf“, ist sich Lenck sicher. „Andere werden sogar ihre gesamte Strategie hinterfragen.“

Darüber hinaus erwartet die DSAG, dass die Diskussion On-Premise versus Cloud neu aufflammt. „Ein Indiz dafür ist, dass SAP im April ihre Umsatzprognosen angepasst hat“, erläutert Lenck. „Aktuell schwächeln besonders die üblicherweise gewinnträchtigen Software-Lizenzen. Diese sind im ersten Quartal, also seit Bekanntwerden der Pandemie, um 31 Prozent eingebrochen.“

Rollierende Planung sichert die Reaktionsfähigkeit

Die DSAG erwartet, dass die SAP ihr Profil schärft und schneller Proof-of-Concepts bereitstellt, damit Unternehmen und Partner ihre Entscheidungsprozesse anstoßen können. Bezogen auf SAP-Projekte empfiehlt die Interessenvertretung ihren Mitgliedsunternehmen jetzt auf Basis der unterschiedlichen Parameter permanent zu planen, um Projektstaus zu vermeiden. Idealerweise sollte die Digitalisierung nun einen strategischen Status bekommen. „So werden die Anstrengungen beim Unternehmensumbau in der Geschäftsführung sichtbar und in die Gesamtarchitektur eingebunden“, erläutert Schell. „Das Management kann in dieser Zeit eine Strategie entwickeln, wo gewohnte Wege weitergegangen und wo neue Pfade eingeschlagen werden sollen.“

Strukturiertes Anfahren auf einheitlicher Linie

Die wirtschaftlichen Maßnahmen der Bundesregierung in der Corona-Pandemie befürwortet die DSAG, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Allerdings sollten sich Bund und Länder laut Lenck schnell abstimmen, um trotz föderalistischer Strukturen eine einheitliche Linie zu fahren.

Nach der Pandemie wird aus Sicht der DSAG für die Unternehmen ein strukturiertes Anfahren im Vordergrund stehen. „Als Anwendervereinigung sehen wir in den Branchen unterschiedliche Konzepte, um in den Alltag zurückzukehren“, berichtet Lenck. „Mechanismen wie Kurzarbeit dürften noch eine Weile vorherrschen, um die Verluste zu begrenzen. Neue digitale Geschäftsmodelle werden wohl erst später nachgefragt.“

Digitale Geschäftsmodelle und Prozessdenken

Manche Investition dürften Unternehmen laut DSAG verschieben und neu bewerten, da die nötigen Mittel nicht verfügbar seien. „Die Gefahr ist groß, dass Transformationsprojekte, die erstmal wirtschaftlich nicht attraktiv sind, hintenangestellt werden“, warnen Lenck und Schell. „Wir befürchten, dass sich dies in den Budgets für 2021 widerspiegelt.“ Vor dem Hintergrund kommender Herausforderungen rät der Interessenverband seinen Mitgliedsunternehmen, dass sie in einer Welt zunehmend autonomer Prozesse in neuen Geschäftsmodellen denken. Darüber hinaus regt die DSAG eine breite Diskussion über den Einsatz Künstlicher Intelligenz an. Jürgen Frisch


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